Platonismus und Mystik im Altertum.
147
allegorische, sondern faktische Wahrheit. Aber diese Konkret-
heit der christlichen Dreieinsheit bedeutete ihm keinen Widerspruch
zu dem Dreibegriff der neuplatonischen Metaphysik, in der die ganze
hellenistische und kaiserzeitliche Tradition aufbewahrt war, so daß
er den Gott der Generatio als Wurzel (pt£a), den Gott der Expli-
catio als Kette (asipa), den Gott der Emanatio als Quelle (~aya)
anzubeten vermochte. Alle drei sind Dasselbe im Sinne der neupla-
tonischen Mystik; aber diese Begriffsmystik ist so gefaßt, daß sie
gleichermaßen verträglich ist mit jener Anschauung des griechi-
schen Glaubens, nach der etwa die drei Chariten Hesiods das Wesen
der Einen Mutter dreifach vertreten, wie mit der christlichen Auf-
fassung, daß der Eine Gott in Vater, Sohn und Geist dreifältig sich
kundgibt. Synesios war stolz, als erster ein singbares Lied auf Jesus
gedichtet zu haben; aber er vergaß nie, daß ihm die ‘Wahrheit’ des
Christentums durch Philosophie aufgegangen war. Wir spüren hei
Proklos die ‘Schule’, die in geistesaristokratischem Sinne eine Elite
von Gebildeten bleibt; wir spüren bei Synesios die ‘Kirche’, die alle
erbarmend umfassen will; dennoch ist es trotz der vielen Schriften1,
die wir von Synesios haben, unmöglich festzustellen, von wann an
er als Christ geschrieben hat: sein Neuplatonismus war schon an-
fangs so christlich, wie sein Christentum zeitlebens neuplatonisch
blieb.
Von seinen Hymnen möge hier der erste ein Bild geben2 * * *. In
den Eingangsversen wird die Leier aufgerufen, nicht von dem
Lächeln zarter Jungfrauen, nicht von der Jugendblüte schö-
ner Knaben zu singen; sondern das heilige Wehen gött-
licher Weisheit gebietet, auf heilige Gesänge die Leier einzu-
stimmen. Die Verse, in denen Synesios irdische Freuden und Be-
strebungen den Anderen überläßt und für sich dieTranquillität der
Vita contemplativa erfleht, beschränken sich auf herkömmliche
Züge. Danach aber folgt das großartige Preislied auf den Einen
1 Sie füllen über 500 Seiten der Patrologie nnd bestehen aus Reden, Pre-
digten, Briefen, philosophischen, theologischen Abhandlungen und den Hym-
nen. S. auch G. Misch, Gesch. d. Autobiographie I, 380ff., E. Norden, Die
ant. Kunstprosa 351 ff., 355 (über die Stellung des S. zur Neosophistik),
Schmid-Stählin, Christs Gesch. d. griech. Lit. II, 26, 1924, S. 1397 ff.
2 Um religiöse Hymnen vor und nach ihrer Prägung durch Philosophie
miteinander zu vergleichen, stelle man den Hymnen des Synesios z. B. das
gegenüber, was A. Schmid, Gedanken über die Entwicklung der Religion auf
Grund der babylonischen Quellen (Mitteilungen der Vorderasiatischen Ge-
sellschaft XVI. Jahrg., 1911), S. 80ff. aus den sumerischen Hymnen darbietet.
10*
147
allegorische, sondern faktische Wahrheit. Aber diese Konkret-
heit der christlichen Dreieinsheit bedeutete ihm keinen Widerspruch
zu dem Dreibegriff der neuplatonischen Metaphysik, in der die ganze
hellenistische und kaiserzeitliche Tradition aufbewahrt war, so daß
er den Gott der Generatio als Wurzel (pt£a), den Gott der Expli-
catio als Kette (asipa), den Gott der Emanatio als Quelle (~aya)
anzubeten vermochte. Alle drei sind Dasselbe im Sinne der neupla-
tonischen Mystik; aber diese Begriffsmystik ist so gefaßt, daß sie
gleichermaßen verträglich ist mit jener Anschauung des griechi-
schen Glaubens, nach der etwa die drei Chariten Hesiods das Wesen
der Einen Mutter dreifach vertreten, wie mit der christlichen Auf-
fassung, daß der Eine Gott in Vater, Sohn und Geist dreifältig sich
kundgibt. Synesios war stolz, als erster ein singbares Lied auf Jesus
gedichtet zu haben; aber er vergaß nie, daß ihm die ‘Wahrheit’ des
Christentums durch Philosophie aufgegangen war. Wir spüren hei
Proklos die ‘Schule’, die in geistesaristokratischem Sinne eine Elite
von Gebildeten bleibt; wir spüren bei Synesios die ‘Kirche’, die alle
erbarmend umfassen will; dennoch ist es trotz der vielen Schriften1,
die wir von Synesios haben, unmöglich festzustellen, von wann an
er als Christ geschrieben hat: sein Neuplatonismus war schon an-
fangs so christlich, wie sein Christentum zeitlebens neuplatonisch
blieb.
Von seinen Hymnen möge hier der erste ein Bild geben2 * * *. In
den Eingangsversen wird die Leier aufgerufen, nicht von dem
Lächeln zarter Jungfrauen, nicht von der Jugendblüte schö-
ner Knaben zu singen; sondern das heilige Wehen gött-
licher Weisheit gebietet, auf heilige Gesänge die Leier einzu-
stimmen. Die Verse, in denen Synesios irdische Freuden und Be-
strebungen den Anderen überläßt und für sich dieTranquillität der
Vita contemplativa erfleht, beschränken sich auf herkömmliche
Züge. Danach aber folgt das großartige Preislied auf den Einen
1 Sie füllen über 500 Seiten der Patrologie nnd bestehen aus Reden, Pre-
digten, Briefen, philosophischen, theologischen Abhandlungen und den Hym-
nen. S. auch G. Misch, Gesch. d. Autobiographie I, 380ff., E. Norden, Die
ant. Kunstprosa 351 ff., 355 (über die Stellung des S. zur Neosophistik),
Schmid-Stählin, Christs Gesch. d. griech. Lit. II, 26, 1924, S. 1397 ff.
2 Um religiöse Hymnen vor und nach ihrer Prägung durch Philosophie
miteinander zu vergleichen, stelle man den Hymnen des Synesios z. B. das
gegenüber, was A. Schmid, Gedanken über die Entwicklung der Religion auf
Grund der babylonischen Quellen (Mitteilungen der Vorderasiatischen Ge-
sellschaft XVI. Jahrg., 1911), S. 80ff. aus den sumerischen Hymnen darbietet.
10*