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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0199
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Zweites Kapitel: Literarhistorische Untersuchung. §3. 199
nur im Hl. Geist, der die unendliche Gemeinschaft oder Verknüp-
fung des unendlichen Namens mit dem unendlichen Benannten ist
(n. 24).
Damit hat Cusanus die notwendigen Voraussetzungen für die
nunmehr folgende Vaterunser-Auslegung geschaffen. Er deutet sie
selbst kurz an, wenn er sagt: ,,Und nun ist dir der Zugang erschlos-
sen zu der Einsicht (intellectus), welche Tiefe verborgen hegt in
Christi Wort, das da das Bild der ewigen Weisheit an sich trägt
und das er ausgesprochen hat im Heiligen Geist“ (n. 25, S. 13).
Nachdem der Prediger nämlich seine Zuhörer beim ersten Anstieg
zu den Vermutungen über den Ablauf der christlichen Zeitalter,
beim zweiten auf dem „einfachen Weg“ verstandesmäßiger Über-
legungen zur Erkenntnis der Dreieinigkeit als Ursprung von allem
geführt hat, ist ihnen jetzt der Weg zur Einsicht aufgetan, aber
einer Einsicht aus dem Glauben.1 Denn der Ausgangspunkt ist
jetzt ein Wort Christi, das Vaterunser; als „Ausgangspunkt“ ist
es geeignet, weil es „nach Menschenweise“ gesprochen und allen
vertraut ist. Es ist aber zugleich ein Abbild der göttlichen Weis-
heit und von Christus im Hl. Geist gesprochen, so daß in ihm „alle
Weisheit Gottes aufleuchtet“.
Von hier aus wird nun die Einleitung der deutschen Vater-
unser-Auslegung verständlich (Pr. XVIII, n. I)2. Ausgangs-
punkt ist auch hier der Gegensatz zwischen der „allerdemütigsten
Menschheit“ Jesu und seiner wahren Gottheit, zwischen der „Ein-
falt“ seiner Worte und ihrem unergründlichen Inhalt, zwischen den
„Worten und sinnlichen Zeichen“ und der in ihnen „verborgenen
Weisheit Gottes“. Dieser Zweiheit in Jesu Person und Lehre ent-
spricht nun auf seiten des Christen die Einfalt des Glaubens, die
jedem erlaubt, „aus dem gleichen Gebet einen besonderen Trost
zu schöpfen, der ihn befriedigt“, und das Streben nach Einsicht
(verftentenis), die von Gottes Gnade abhängt und darum bei den
einzelnen Menschen verschieden ist. Darum hält Cusanus sich für
befugt, seine Einsicht in den unerschöpflichen Gehalt des Vater-
unsers vor anderen darzulegen, in der Hoffnung, daß seine Ein-
sicht und die seiner Leser von Tag zu Tag wachsen möge. Ziel
des Strebens nach Einsicht ist die Erkenntnis, daß im Vaterunser
„alle begrifliche wijfheit“, d. h. alle von uns im Glauben zu er-

1 Vgl. De Docta Ignorantia III c. 11, S. 151, 16.
2 Vgl. oben S. 24 f.
 
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