Drittes Kapitel: Erläuterungen. §6.
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Für die Deutung der Worte anbegynn und oerjprung ist zu
beachten, daß sie 26, 14f. und 30, 6f. nebeneinander stehen, und
daß 60, 12 statt anbegynn auch oerjprung stehen könnte, wie der
Zusammenhang mit wffflus usw. zeigt. M. Geist übersetzt an-
begynn an den beiden ersten Stellen mit initium, an der dritten
mit principium; oerjprung übersetzt er meist mit origo, 28, 4 mit
scaturigo und 26, 17 mit principium. Daß anbegynn initium ent-
spricht, dürfte selbstverständlich sein; das Korrelat zu oerjprung
ist bei Cusanus aber nicht origo, sondern principium (vgl. 16, 12.
16; 30, 6-—7*; 32, 3*). Gleichwohl ist zwischen dem Bedeutungs-
gehalt der beiden Worte doch ein gewisser Unterschied. Princi-
pium besagt seinem eigentlichen Sinn nach den Anfang von etwas.
„Principium enim primum rei est“, sagt Albertus M.1. Das
Wesen, das als principium bezeichnet wird, nimmt in einer Reihe
von Dingen die erste Stelle ein2. Oerjprung hat demgegenüber
dynamische Bedeutung, wie vor allem die Zusammenstellung mit
wjjflus und wyderjlos zeigt. Die erste Bedeutung des Wortes, näm-
lich Quell, wirkt auch in der übertragenen Bedeutung noch nach;
das sieht man sehr gut in Pr. 71, S. 100, 17 f.: das wajjer (kumbt)
von dem vrjprung .... Got der vater ijt ein vrjprung aller dinng. Und
da nun anbegynn, wie wir sahen, auch an Stelle von oerjprung ge-
braucht wird, so besagt auch dieses Wort keineswegs das Erste in
einer Reihe, sondern das, wovon anderes ausgeht; das ergibt sich
sowohl aus dem Satz, daß eyn vater . . . ijt allein eyn anbegin aller
vnjer (30, 6f.; vgl. dazu Pr. 71, S. 100, 15), als auch aus dem
andern (60, 11 f.), daß Christus, das heubt aller jchejjunge gottes, das
anbegin des vßfloßis aller creaturen (is).
In Meister Eckharts „Buch der göttlichen Tröstung“ haben
wir eine Stelle, die den dynamischen Gehalt beider Worte sehr
deutlich zeigt:
Ein ist beginne sunder allen begin. gelichnüsse ist begin von dem einen
alleine und nimet das es ist unt das es begin ist von dem einen, in dem einen.
1 De causis et processu univ. I tr. 4 c. 1, Opera (ed. A. Borgnet)
X 411a.
2 Damit ist nicht gesagt, daß principium in der Philosophie und Theo-
logie des Mittelalters nur in dieser formalen Bedeutung genommen wird. Man
braucht nur den Anfang der Johannes-Auslegung Meister Eckiiarts (Die
lateinischen Werke III 3ff.) zu lesen, um zu erkennen, daß er das Wort durch-
aus dynamisch auffaßt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei Eckhart der
dynamische Gehalt des deutschen Wortes Ursprung auf das lateinische Kor-
relat zurückwirkt.
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Für die Deutung der Worte anbegynn und oerjprung ist zu
beachten, daß sie 26, 14f. und 30, 6f. nebeneinander stehen, und
daß 60, 12 statt anbegynn auch oerjprung stehen könnte, wie der
Zusammenhang mit wffflus usw. zeigt. M. Geist übersetzt an-
begynn an den beiden ersten Stellen mit initium, an der dritten
mit principium; oerjprung übersetzt er meist mit origo, 28, 4 mit
scaturigo und 26, 17 mit principium. Daß anbegynn initium ent-
spricht, dürfte selbstverständlich sein; das Korrelat zu oerjprung
ist bei Cusanus aber nicht origo, sondern principium (vgl. 16, 12.
16; 30, 6-—7*; 32, 3*). Gleichwohl ist zwischen dem Bedeutungs-
gehalt der beiden Worte doch ein gewisser Unterschied. Princi-
pium besagt seinem eigentlichen Sinn nach den Anfang von etwas.
„Principium enim primum rei est“, sagt Albertus M.1. Das
Wesen, das als principium bezeichnet wird, nimmt in einer Reihe
von Dingen die erste Stelle ein2. Oerjprung hat demgegenüber
dynamische Bedeutung, wie vor allem die Zusammenstellung mit
wjjflus und wyderjlos zeigt. Die erste Bedeutung des Wortes, näm-
lich Quell, wirkt auch in der übertragenen Bedeutung noch nach;
das sieht man sehr gut in Pr. 71, S. 100, 17 f.: das wajjer (kumbt)
von dem vrjprung .... Got der vater ijt ein vrjprung aller dinng. Und
da nun anbegynn, wie wir sahen, auch an Stelle von oerjprung ge-
braucht wird, so besagt auch dieses Wort keineswegs das Erste in
einer Reihe, sondern das, wovon anderes ausgeht; das ergibt sich
sowohl aus dem Satz, daß eyn vater . . . ijt allein eyn anbegin aller
vnjer (30, 6f.; vgl. dazu Pr. 71, S. 100, 15), als auch aus dem
andern (60, 11 f.), daß Christus, das heubt aller jchejjunge gottes, das
anbegin des vßfloßis aller creaturen (is).
In Meister Eckharts „Buch der göttlichen Tröstung“ haben
wir eine Stelle, die den dynamischen Gehalt beider Worte sehr
deutlich zeigt:
Ein ist beginne sunder allen begin. gelichnüsse ist begin von dem einen
alleine und nimet das es ist unt das es begin ist von dem einen, in dem einen.
1 De causis et processu univ. I tr. 4 c. 1, Opera (ed. A. Borgnet)
X 411a.
2 Damit ist nicht gesagt, daß principium in der Philosophie und Theo-
logie des Mittelalters nur in dieser formalen Bedeutung genommen wird. Man
braucht nur den Anfang der Johannes-Auslegung Meister Eckiiarts (Die
lateinischen Werke III 3ff.) zu lesen, um zu erkennen, daß er das Wort durch-
aus dynamisch auffaßt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei Eckhart der
dynamische Gehalt des deutschen Wortes Ursprung auf das lateinische Kor-
relat zurückwirkt.