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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0133
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Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen

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lebnisses, und gibt uns damit einen ganz bestimmten Schlüssel für
die Deutung der Befunde beiderseits der Kluft. Es wird Sache der
weiteren Entwicklung der Prähistorie sein, die Deutung des Ma-
terials trotz aller seiner Sprödigkeit und Einseitigkeit auf das Art-
eigene und auf die gestaltenden Kräfte hin so zu fördern, daß sich
zumindest innerhalb der jüngeren frühgeschichtlichen Zeitstufen
gesicherte Gründungen für die Überbrückung der genannten Klüfte
ergeben.
Wichtiger als alles Suchen nach den typologischen Reihen ist
in Zukunft also die Kombination. Gerade weil die ersteren ver-
hältnismäßig klar liegen, muß auf die Erkenntnis der uns zunächst
verschlossenen inneren Vorgänge in den Kulturprovinzen um so
mehr Gewicht gelegt werden. Wie kommt es nun aber, daß bei
Kossinna und seinen Nachfolgern die Typologie eine beherrschende
Stellung hat einnehmen können, und daß über ihr der Mensch
geradezu vergessen worden ist ? Es kann doch nichts — und auch
nicht die gerade hier gerne geübte Herausstellung des germanischen
oder des nordischen Menschen überhaupt — darüber hinweg-
täuschen, daß sich in dieser Betonung von Systematik und typo-
logischer Gesetzmäßigkeit eine rationale Grundeinstellung offen-
bart. Gelingt es, diese Haltung aus den besonderen geistesgeschicht-
lichen Voraussetzungen vergangener Jahrhunderte abzuleiten, dann
ist sie eine zeitgebundene Erscheinung, welche in der Tat der Ab-
lösung durch eine neue Einstellung bedarf.
Zwar hat die typologische Betrachtungsweise für sich allein die
Prähistorie nicht zur Wissenschaft gemacht, aber es kommt ihr
doch ein großer Teil dieses Verdienstes zu. Sie wird in den 1870 er
Jahren erstmals in größerem Umfang angewendet, und schon gegen
den Ausgang dieses letzten Jahrhunderts hat ein Kreis nord-
deutscher und skandinavischer Forscher nicht nur die Richtigkeit
des bereits der Antike vorschwebenden Dreiperiodensystems be-
wiesen, sondern darüber hinaus die Abfolge aller wichtigeren euro-
päischen Formenkreise ermittelt. In diesem Streben, überall eine
fortlaufende Entwicklung zu finden, spiegelt sich die damalige
Form der Abstammungslehre; ihre Vorstellung von der langsamen
Veränderung der Lebewesen wird auf den Fundstoff übertragen,
und manche der hier möglichen Beobachtungen — wie z. B. die-
jenige von Atavismen — erscheint als geeignet, die Anwendung
dieser vorwiegend an den lebenden Organismen erarbeiteten und
dann vermittels der Fossilien erhärteten Betrachtungsweise auf die
 
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