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Ernst A. Schmidt
Wandlung geprägter Form, μεταβολή von μορφή in μορφή, von είδος in
είδος, von forma/figura/imago in forma/figura/imago. Die Veränderung
gestaltlosen Stoffes in eine Gestalt ist keine Metamorphose, keine
Transformation, keine Formverwandlung, kein Gestaltwandel. Ovid
läßt es sich bei seiner Kosmogonie höchst angelegen sein, immer wieder
zu betonen, daß der Ausgangsstoff der Schöpfung das formlose und un-
gestalte Chaos war, ungeschiedenes Neben- und Ineinander des formlo-
sen Stoffes für die späteren Formen (vgl. met. 1,6-9. 17-20. 24). Die in
Kommentaren beigebrachten Parallelen aus der mittelstoischen Philo-
sophie (Poseidonios), deren Lehre Ovid hier verpflichtet ist, unterstrei-
chen das: ύλη ist Substanz (ουσία) ohne Gestalt (άμορφος) und Qualität
(άποιος).7 Ovids Text ist ,Veranschaulichung' dieser philosophischen
Terminologie.
Ovids Kosmogonie ist, wie die der Vorsokratiker8, narrative Kosmo-
logie. Ihre spezifische Hinsicht ist der Mensch als Höhepunkt und Ziel.
Der Mensch ist aber nicht naturgeschichtlich-genetisch für die Welt das
Worumwillen, sondern die Welt ist als die Welt des Menschen und für
den Menschen um seinetwillen da. Um dieser Exposition seines Ge-
dichts willen übernimmt Ovid die stoische Providenz; die stoische Fär-
bung von met. 1,5 ff. ist dichterische Entscheidung, nicht beiläufige Kon-
sequenz zufälliger Benutzung einer stoischen Quelle.
Die Kosmogonie wird von Ovid erzählt, weil er die Menschenerschaf-
fung erzählen will und diese Teil und Krönung der Weltschöpfung ist.
Sie ist aber nicht nur ein in Kauf genommener narrativer Kontext für die
Menschenschöpfung, sondern Welt und Mensch werden aufeinander
bezogen. Die Welt wird als Raum und Lebenswelt des Menschen, eben
als seine Welt, geschaffen. Die ,Sorge des Gottes' („cura dei“) richtet
neben .unbewohnbaren' Zonen zwei Erdzonen gemäßigten Klimas' ein
(met. 1,45-51). Bewohnbarkeit' und ausgeglichenes Klima' sind im
Blick auf den Menschen ausgesagt, der - narrativ formuliert - noch nicht
geschaffen ist, der - Wort und Thema ,Mensch' betrachtend - im Ge-
dicht noch nicht vorgekommen ist9, dessen Fehlen aber von hier an als
thematische Vorbereitung spürbar wird.
7 Vgl. comm. Haupt und comm. Bömer, jeweils zu met. 1,7: „rudis indigestaque moles“.
8 Vgl. Hölscher (1965), Empedokles und Hölderlin, S. 31: „Die Kosmogonie (sc. des Em-
pedokles) ist im Grunde eine Kosmologie, wir mißverstehen sie, wenn wir ihre zeitliche
Dimension absolut nehmen [...]. Die Dimension des Urzeitlichen gehört zur Welterkiä-
rung; die frühe Philosophie hat sie noch mit dem Mythos gemein.“
9 Gegenüber trist. 1,7,13 fehlt die Vokabel ,Mensch1 im Proömium, was, da ganz offenbar
Ernst A. Schmidt
Wandlung geprägter Form, μεταβολή von μορφή in μορφή, von είδος in
είδος, von forma/figura/imago in forma/figura/imago. Die Veränderung
gestaltlosen Stoffes in eine Gestalt ist keine Metamorphose, keine
Transformation, keine Formverwandlung, kein Gestaltwandel. Ovid
läßt es sich bei seiner Kosmogonie höchst angelegen sein, immer wieder
zu betonen, daß der Ausgangsstoff der Schöpfung das formlose und un-
gestalte Chaos war, ungeschiedenes Neben- und Ineinander des formlo-
sen Stoffes für die späteren Formen (vgl. met. 1,6-9. 17-20. 24). Die in
Kommentaren beigebrachten Parallelen aus der mittelstoischen Philo-
sophie (Poseidonios), deren Lehre Ovid hier verpflichtet ist, unterstrei-
chen das: ύλη ist Substanz (ουσία) ohne Gestalt (άμορφος) und Qualität
(άποιος).7 Ovids Text ist ,Veranschaulichung' dieser philosophischen
Terminologie.
Ovids Kosmogonie ist, wie die der Vorsokratiker8, narrative Kosmo-
logie. Ihre spezifische Hinsicht ist der Mensch als Höhepunkt und Ziel.
Der Mensch ist aber nicht naturgeschichtlich-genetisch für die Welt das
Worumwillen, sondern die Welt ist als die Welt des Menschen und für
den Menschen um seinetwillen da. Um dieser Exposition seines Ge-
dichts willen übernimmt Ovid die stoische Providenz; die stoische Fär-
bung von met. 1,5 ff. ist dichterische Entscheidung, nicht beiläufige Kon-
sequenz zufälliger Benutzung einer stoischen Quelle.
Die Kosmogonie wird von Ovid erzählt, weil er die Menschenerschaf-
fung erzählen will und diese Teil und Krönung der Weltschöpfung ist.
Sie ist aber nicht nur ein in Kauf genommener narrativer Kontext für die
Menschenschöpfung, sondern Welt und Mensch werden aufeinander
bezogen. Die Welt wird als Raum und Lebenswelt des Menschen, eben
als seine Welt, geschaffen. Die ,Sorge des Gottes' („cura dei“) richtet
neben .unbewohnbaren' Zonen zwei Erdzonen gemäßigten Klimas' ein
(met. 1,45-51). Bewohnbarkeit' und ausgeglichenes Klima' sind im
Blick auf den Menschen ausgesagt, der - narrativ formuliert - noch nicht
geschaffen ist, der - Wort und Thema ,Mensch' betrachtend - im Ge-
dicht noch nicht vorgekommen ist9, dessen Fehlen aber von hier an als
thematische Vorbereitung spürbar wird.
7 Vgl. comm. Haupt und comm. Bömer, jeweils zu met. 1,7: „rudis indigestaque moles“.
8 Vgl. Hölscher (1965), Empedokles und Hölderlin, S. 31: „Die Kosmogonie (sc. des Em-
pedokles) ist im Grunde eine Kosmologie, wir mißverstehen sie, wenn wir ihre zeitliche
Dimension absolut nehmen [...]. Die Dimension des Urzeitlichen gehört zur Welterkiä-
rung; die frühe Philosophie hat sie noch mit dem Mythos gemein.“
9 Gegenüber trist. 1,7,13 fehlt die Vokabel ,Mensch1 im Proömium, was, da ganz offenbar