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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0032
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Ernst A. Schmidt

§ 6 Thematische Komposition einer komplexen narrativen
Anthropologie als Exposition der Dichtung
Göttlicher Ursprung, göttliche Bestimmung - können wir darin den
Menschen wiedererkennen, unsere Menschenkenntnis und anthropolo-
gische Wahrheit oder auch wenigstens nur das Menschenbild der ovidi-
schen Metamorphosen? So evident es ist, daß wir diese Fragen nur ver-
neinen können - das erste Individuum, das die Bühne des Gedichts be-
tritt und Verwandlung erfährt, ist Lycaon, ein gewalttätiger, grausamer,
blutdürstiger Verächter der Götter-, so macht das doch nur die Frage
nach Bedeutung und Geltung der Anthropologie des Schöpfungsbe-
richts dringend. Das Alte Testament stellt eine Analogie bereit: sein
Menschenbild wird vom Sündenfall bestimmt, der aber, obwohl er als
Erzählung der Erschaffung des Menschen nach dem Bilde Gottes
scheinbar zeitlich folgt, die Gottesebenbildlichkeit nicht gänzlich aus-
löscht. Schöpfung und Sündenfall sind nicht zwei Stadien eines zeitli-
chen geschichtlichen Prozesses, sondern polare anthropologische Aus-
sagen.
Ovid exponiert sein Schatzhaus von Menschengeschichten, seine en-
zyklopädisch-narrative Menschenkunde mit einer komplexen Anthro-
pologie, die er, in kunstvoller Themenführung, aus Geschichten, die er
caelestium inanis“ von Persius (sat. 2,61), zitiert von Laktanz, div.inst. 2,2,18) und
S. 183, Anm. 8 (zu den Stellen aus Cic., de nat. deorum vgl. comm. Pease) Sauer-Gep-
pert (1975), Aufrechte Körperhaltung: interessante Belege (bei unsicherer Kenntnis
und Beurteilung der antiken Tradition und ohne Kenntnis des Buches von A. Wlosok). -
Lee (1968), comm. met. 1 zitiert Milton, Paradise Lost 7,505-510; Schmidt (1990), The-
menführung, S. 195f. mit Anm. 2 macht darauf aufmerksam, daß hier eben die beiden
Passagen aus dem Menschenschöpfungsbericht der Metamorphosen zusammenge-
schmolzen sind, die Laktanz in inst. div. zitiert (vgl. app. testimoniorum in Anderson,
ed.met.) und daß Milton trotz erwiesener Ovidkenntnis hier tatsächlich von Laktanz
angeregt ist. - In dieser Tradition stehen zuletzt Köhler (19664), Theologie des AT,
S. 134f. (Hinweis von Eberhard Jüngel) und, ihm folgend, Jüngel (1975/1980), Gott-
ebenbildlichkeit, S.301L, wenn sie die Gottebenbildlichkeit von Gen. l,26f. als auf-
rechten Gang auslegen. Beide Gelehrte sind sich zwar des griechischen Ursprungs dieser
Anthropologie bewußt, kaum aber, daß erst von Philo an die alttestamentliche Anthro-
pologie derart griechisch ausgelegt wird und der Schein der Evidenz dieser Auslegung
der Genesis sich einer jahrhundertealten Auslegungstradition verdankt (vgl. den Auf-
satz von Sauer-Geppert), die ein Kapitel der Wirkungsgeschichte Ovids ist. Der „rectus
status“ spielt in der Anthropologie des AT keine Rolle, und die gelegentlich angeführte
Stelle Ecl. 7,30 (= Pred. 1,29): „Deus fecit hominem rectum“ (Sauer-Geppert, S. 57 mit
Anm. 6) gehört nicht hierher: „rectus“ meint dort nicht „von aufrechter Statur“, son-
dern „von aufrechter Gesinnung, geraden Sinnes, rechtlich“.
 
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