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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0040
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Ernst A. Schmidt

schichte in Verwandlungen“1 Universalhistorie in naturphilosophischer
Deutung (Zinn) bzw. als Psychologie von Identitätskrise („wavering
identity“) poetische Deutung der geistigen Situation der Zeit (Frän-
kel).
§ 7 Zinns Deutung: Vom Chaos zum Kosmos. Pythagorasrede als
Schlüssel. Bedenken
Ich gehe zuerst auf Zinns Deutung ein, welche ihre Vorgänger (Ru-
dolf Pfeiffer) und Nachfolger (Walther Ludwig, Vinzenz Buchheit) hat.
Diese Deutung hängt an den beiden Namen Augustus und Pythagoras.
Damit ist als Textbasis gemeint: der Preis des Augustus in met. 15,807-
870 und die Rede des Pythagoras in met. 15,60-478. Und die Gesamtdeu-
tung des Gedichts besagt: 1. Die Metamorphosen sind teleologische Uni-
versalgeschichte vom Chaos (vor der Schöpfung) am Anfang von Buch 1
zum Kosmos (der augusteischen Gegenwart) am Ende von Buch 15.
2. Das Prinzip der weltgeschichtlichen Entwicklung ist die naturphiloso-
phische Lehre vom ewigen Wandel, wie sie Pythagoras in Buch 15 vor-
trägt; in der Sekundärliteratur findet man dazu stereotyp den Ausdruck:
,die Rede des Pythagoras gibt den Schlüssel2 zum Ganzen1.
Es handelt sich also um die Verbindung eines welthistorischen, ge-
schichtstheologischen Konzepts (augusteische Geschichtstheologie) mit
einem naturphilosophischen Prinzip, der mittelstoisch (Poseidonios)
durchsetzten pythagoreischen Lehre, wie Ovid sie Pythagoras vortragen
läßt.
Was aber sollte ein Naturgesetz der Veränderung mit den ovidischen
Geschichten von Leiden und Leidenschaften der Menschen zu tun ha-
ben, und wiederum: wie sollte sich aus Geschichten von Leidenschaften
und Leiden individueller Menschen Universalhistorie ergeben? Kann
eine Universalgeschichte von einem Mädchen berichten, das ein Lor-
beerbaum wurde, von Bauern, die als Frösche weiterlebten, von der
Liebe zwischen Pyramus und Thisbe, die Shakespeare im Sommer-
1 Diese Formulierung entnehme ich der Inhaltsangabe eines Vortrags von Hans Herter
über „Ovids Metamorphosen“ in Gymn. 46 (1935), S. 33.
2 Über die Vertreter der gleichen Auffassung („Schlüssel“) informiert Little (1970),
Speech of Pythagoras. Little selbst lehnt diese Deutung ab - und läßt sie gelten: obwohl
die Rede des Pythagoras nichts mit der mythologischen Metamorphose zu tun habe, sei
sie von Ovid gedacht als Schein der Erzeugung von Einheit für sein Gedicht - „to the
casual reader“ (S.360)!
 
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