Ovids poetische Menschenwelt
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morphosen zur Sprache kommen sollte, die gerade nicht die Ovids in
seinen Metamorphosenerzählungen ist.8 Alle Verwandlungen von Men-
schen sind das schlechthin Außergewöhnliche und Wunderbare und
durch keine Naturphilosophie plausibel zu machen. Die Metamorpho-
sen Ovids setzen eine unveränderliche Welt, stabile Wesen und Charak-
tere, feste Identitäten voraus. Ovids Welt ist gerade nicht die des Flusses
und der Veränderung: alle Metamorphosen sind einmalig und endgül-
tig9 und als poetische Erkenntnisoperationen nicht rückgängig zu ma-
chen.
Die Verbindung des Naturprinzips Wandel mit der menschlichen
Geschichte ist allerdings nicht von vornherein unmöglich, sondern ent-
spricht durchaus griechischem Denken, von der archaischen Welter-
fahrung (Unbeständigkeit alles Menschlichen) über Herodot zur helle-
nistischen Tyche als Geschichtsprinzip, mit Stationen wie Platons
Lehre von der Wiederkehr der Geschichte nach einem ,Großen Jahr‘
und dem ,Kreislauf der Verfassungen1 bei Polybios im sechsten Buch
seiner Universalgeschichte. Es handelt sich dabei immer um entweder
die Unerkennbarkeit der Geschichte oder um zyklische Geschichtsbil-
der. Eben deshalb ist nun aber die Verbindung ewigen Wandels mit ei-
nem teleologischen Geschichtsprozeß ein unmögliches Paradox, weil
hier die geschichtlichen Veränderungen als von einem sinnvollen Ende
und Ziel her gesteuert gedacht werden und als solche im Ziel ihr Ende
finden.
Solcher sowohl logischen wie geistesgeschichtlichen Kritik bedarf es
freilich gar nicht. Der Textbefund macht die Applikation beider Mo-
delle, je für sich, unmöglich. Wenn etwa Rudolf Pfeiffer sagt: „[. . . j die
Metamorphosen [. . .] hielten vom ersten Wandel des Chaos in den Kos-
mos bis zum letzten Wandel des politischen Chaos in den neuen Kosmos
der augustischen (sic!) Ära im großen die zeitliche Abfolge fest“10, so ist
diese Beobachtung des jeweiligen Wandels vom Chaos zum Kosmos in
8 Galinsky (1975), Ovid’s Metamorphoses, S. 103-107 sieht in der Rede des Pythagoras
eine Folie zu Ovids eigenen Verwandlungsgeschichten mit der artistischen Pointe, seine
eigene ingeniöse Erzählungsleistung zu unterstreichen.
9 Vgl. Coleman (1971), Structure and Intention in Metamorphoses, S. 462f.: „[. . .] met-
empsychosis is a condition of all life [...], a continuous process through which all of us
must pass. By contrast metamorphosis is a fate reserved for particular persons in parti-
cular circumstances; [. . .] once complete, its effects are permanent and immutable.“ -
Die Verwandlung des herdenwürgenden Wolfes in met. 11,401 ff. ist nicht die erneute
Metamorphose des Lycaon (met. 1,232ff.): die beiden Wölfe haben nichts miteinander
zu tun.
10 Pfeiffer (1934), Dihegeseis, S. 48.
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morphosen zur Sprache kommen sollte, die gerade nicht die Ovids in
seinen Metamorphosenerzählungen ist.8 Alle Verwandlungen von Men-
schen sind das schlechthin Außergewöhnliche und Wunderbare und
durch keine Naturphilosophie plausibel zu machen. Die Metamorpho-
sen Ovids setzen eine unveränderliche Welt, stabile Wesen und Charak-
tere, feste Identitäten voraus. Ovids Welt ist gerade nicht die des Flusses
und der Veränderung: alle Metamorphosen sind einmalig und endgül-
tig9 und als poetische Erkenntnisoperationen nicht rückgängig zu ma-
chen.
Die Verbindung des Naturprinzips Wandel mit der menschlichen
Geschichte ist allerdings nicht von vornherein unmöglich, sondern ent-
spricht durchaus griechischem Denken, von der archaischen Welter-
fahrung (Unbeständigkeit alles Menschlichen) über Herodot zur helle-
nistischen Tyche als Geschichtsprinzip, mit Stationen wie Platons
Lehre von der Wiederkehr der Geschichte nach einem ,Großen Jahr‘
und dem ,Kreislauf der Verfassungen1 bei Polybios im sechsten Buch
seiner Universalgeschichte. Es handelt sich dabei immer um entweder
die Unerkennbarkeit der Geschichte oder um zyklische Geschichtsbil-
der. Eben deshalb ist nun aber die Verbindung ewigen Wandels mit ei-
nem teleologischen Geschichtsprozeß ein unmögliches Paradox, weil
hier die geschichtlichen Veränderungen als von einem sinnvollen Ende
und Ziel her gesteuert gedacht werden und als solche im Ziel ihr Ende
finden.
Solcher sowohl logischen wie geistesgeschichtlichen Kritik bedarf es
freilich gar nicht. Der Textbefund macht die Applikation beider Mo-
delle, je für sich, unmöglich. Wenn etwa Rudolf Pfeiffer sagt: „[. . . j die
Metamorphosen [. . .] hielten vom ersten Wandel des Chaos in den Kos-
mos bis zum letzten Wandel des politischen Chaos in den neuen Kosmos
der augustischen (sic!) Ära im großen die zeitliche Abfolge fest“10, so ist
diese Beobachtung des jeweiligen Wandels vom Chaos zum Kosmos in
8 Galinsky (1975), Ovid’s Metamorphoses, S. 103-107 sieht in der Rede des Pythagoras
eine Folie zu Ovids eigenen Verwandlungsgeschichten mit der artistischen Pointe, seine
eigene ingeniöse Erzählungsleistung zu unterstreichen.
9 Vgl. Coleman (1971), Structure and Intention in Metamorphoses, S. 462f.: „[. . .] met-
empsychosis is a condition of all life [...], a continuous process through which all of us
must pass. By contrast metamorphosis is a fate reserved for particular persons in parti-
cular circumstances; [. . .] once complete, its effects are permanent and immutable.“ -
Die Verwandlung des herdenwürgenden Wolfes in met. 11,401 ff. ist nicht die erneute
Metamorphose des Lycaon (met. 1,232ff.): die beiden Wölfe haben nichts miteinander
zu tun.
10 Pfeiffer (1934), Dihegeseis, S. 48.