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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0048
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Ernst A. Schmidt

vers komprimiert werden; sie wären fast alle in einem einzigen Bild dar-
zustellen; eine einzige Weltgestalt, eben das in der Metamorphose ent-
stehende Wesen, bewahrt sie als ihr Lakonismus. Ihre Länge bekom-
men die Erzählungen nicht durch Darstellung einer Lebensgeschichte,
eines Prozesses, sondern allein durch psychologische Erhellung von We-
senskern und kritischer Situation und durch das scheinrealistische Detail
der Verwandlungsbeschreibung.
Die Abweisung einer augusteischen Geschichtsidee besagt weder,
daß die Metamorphosen gänzlich untheologisch noch daß sie letztlich
anti-augusteisch wären. Zwar fehlt eine systematische Geschichtstheo-
logie, aber es gibt nicht nur eine den Menschen begründende Schöp-
fungstheologie, sondern auch eine Theologie von menschlichem Leiden
und menschlicher Schuld. Ovids Preis lulius Caesars und der augustei-
schen Friedensherrschaft ist bei aller Schmeichelei und auch bei aller
Ironie im Kern doch ganz ehrlich. Nur hat Ovid für Geschichte, Staat,
Politik sei es kein Organ, sei es angesichts des für seine Metamorphosen
gewählten Themas kein Interesse und keinen Bedarf. Die augusteische
Herrschaft akzeptierte er dankbar als Voraussetzung seiner Existenz als
Dichter und Bürger Roms, aber damit war sein Engagement für augu-
steische Ideen auch erschöpft. Er wollte weder gegen Augustus dichten,
noch hatte er je ein augusteisches Gedicht geplant, welchen Plan sein
ovidisches Naturell dann durchbrochen und zerstört hätte.21
So wenig wie das augusteische Geschichtsmodell taugt das pythagorei-
sche Naturprinzip des Wandels zur Erklärung der Metamorphosen.22 Aus
der langen Rede des Pythagoras (met. 15,75-478), die von der philo-
sophisch begründeten Warnung vor Fleischgenuß gerahmt ist (v. 75-175
und 453-475: das ist mehr als ein Viertel des Ganzen!), sind für unsere
Frage die wichtigsten Textstücke v. 165-172. 176-185. 453-458. Abgese-
hen davon, daß die ovidische Metamorphose keine Seelenwanderung
(Metempsychose) ist, nicht der Eintritt der Seele eines gestorbenen Men-
schen in ein neugeborenes Tier; abgesehen davon, daß die pythagoreische
Seelenwanderungslehre bei Ovid nur Menschen und Tiere23 verbindet,
21 Dieses Urteil über Ovids Haltung gegenüber dem Princeps ist nicht originell, sondern
osmotisch von Viktor Pöschl übernommen; vgl. auch z.B. Lycaon (1976), S. 308.
22 Herter (1982), Concilium Deorum, S. 123f. hält an der Pythagorasrede „das Thema der
Theorie der Verwandlungen“ für „das Entscheidende“, meint aber, „daß das pythagorei-
sche“ Moment so wenig wie das augusteisch-politische „in den Büchern, die die Haupt-
masse der Metamorphosen bilden“, „zum Vorschein kommt“ und nicht das Band herge-
ben kann, „das das Ganze zusammenhält“.
23 Vgl. Coleman (1971), Structure and Intention in Metamorphoses, S. 462.
 
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