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Ernst A. Schmidt
Konflikt gebracht wird. Arethusa wird Wasser im Angstschweiß jung-
fräulicher Bedrohtheit (met. 5,632ff.), Daphne ein Baum, weil sie in
ihrer Jungfräulichkeit schon immer „like a fine but frigid plant“ war31;
das Mädchen Iphis, das ein Mädchen liebt, wird ein Mann - weil gleich-
sam Frauenliebe männlich macht (met. 9,666ff.). Heilt hier die Meta-
morphose einen Identitätsbruch? Ist das Sich-nicht-Identifizieren-Kön-
nen mit der eigenen Schönheit im Sinn des Gegenstands männlicher
Begehrlichkeit ein Identitätsproblem, ist das fehlende Einverständnis
mit dem männlichen Zudringling Gespaltenheit? Das Gegenteil ist rich-
tig; hier liegt gerade Treue oder allenfalls starres Festhalten am eigenen
Selbst vor. Vielleicht ist es bei Iphis anders: das fehlende Einverständnis
mit dem eigenen Frau-Sein erzeugt wohl wirklich eine unerträgliche
Spannung.
Ovid hat, nicht nur in den Metamorphosen, in großer Intensität psy-
chische Konstellationen und Bewegungen aufgespürt und dargestellt.
Und Fränkel ist rechtzugeben, wenn er sagt, Ovid habe als Meister ins-
besondere der Aufzeichnung seelischer und moralischer Konflikte kom-
pliziertere psychologische Prozesse gestaltet als jeder Dichter vor ihm.
Auch gerade in dieser Hinsicht hat Ovid die Götter weiter vermensch-
licht; auch sie sind von Konflikten zerrissen. Vgl. z.B. Jupiter in met.
l,618f.: „pudor est, qui suadeat illinc, / hinc dissuadet amor.“
Aber in solcher Darstellung seelischer Konflikte ist Ovid in keiner
Weise der erste, sondern, wenn man nicht mit Karl Reinhardt Homer
zum ,Erfinder4 des „seelischen Zwiespalts“ machen will32, Erbe einer
mindestens vier Jahrhunderte alten geistigen und dichterischen Tradi-
tion. Man denke an die griechische Tragödie, z. B. an den Neoptolemos
im Philoktet des Sophokles oder die euripideische Medea', an die Philo-
sophie, insbesondere die aristotelische Analyse von εγκράτεια und
άκρασία in der Nikomachischen Ethik33; an die Liebesdichtung von der
alexandrinischen Epigrammatik34 über das neoterische Epyllion eines
ερωτικόν πάθημα zu Catuli (vgl. bes. c. 8), zu Vergils Bukolik (ecl. 2
und 10) und dessen Aeneas-Dido-Erzählung (Aen. 1-4), zu den augu-
steischen Liebeselegikern.
Die Frage, ob mit der Darstellung des Durchlebens und Durchleidens
31 Vgl. u.S.58.
32 Reinhardt (1938), Parisurteil, S. 36.
33 EN 7,1-7.
34 Seelischer Konflikt wird conceptistisch als Ich-Spaltung beschrieben und gedeutet von
Kallimachos in epigr. 41 Pf. und (nach diesem) von Q. Lutatius Catulus, fr. 1 FPL (Mo-
rel-Büchner).
Ernst A. Schmidt
Konflikt gebracht wird. Arethusa wird Wasser im Angstschweiß jung-
fräulicher Bedrohtheit (met. 5,632ff.), Daphne ein Baum, weil sie in
ihrer Jungfräulichkeit schon immer „like a fine but frigid plant“ war31;
das Mädchen Iphis, das ein Mädchen liebt, wird ein Mann - weil gleich-
sam Frauenliebe männlich macht (met. 9,666ff.). Heilt hier die Meta-
morphose einen Identitätsbruch? Ist das Sich-nicht-Identifizieren-Kön-
nen mit der eigenen Schönheit im Sinn des Gegenstands männlicher
Begehrlichkeit ein Identitätsproblem, ist das fehlende Einverständnis
mit dem männlichen Zudringling Gespaltenheit? Das Gegenteil ist rich-
tig; hier liegt gerade Treue oder allenfalls starres Festhalten am eigenen
Selbst vor. Vielleicht ist es bei Iphis anders: das fehlende Einverständnis
mit dem eigenen Frau-Sein erzeugt wohl wirklich eine unerträgliche
Spannung.
Ovid hat, nicht nur in den Metamorphosen, in großer Intensität psy-
chische Konstellationen und Bewegungen aufgespürt und dargestellt.
Und Fränkel ist rechtzugeben, wenn er sagt, Ovid habe als Meister ins-
besondere der Aufzeichnung seelischer und moralischer Konflikte kom-
pliziertere psychologische Prozesse gestaltet als jeder Dichter vor ihm.
Auch gerade in dieser Hinsicht hat Ovid die Götter weiter vermensch-
licht; auch sie sind von Konflikten zerrissen. Vgl. z.B. Jupiter in met.
l,618f.: „pudor est, qui suadeat illinc, / hinc dissuadet amor.“
Aber in solcher Darstellung seelischer Konflikte ist Ovid in keiner
Weise der erste, sondern, wenn man nicht mit Karl Reinhardt Homer
zum ,Erfinder4 des „seelischen Zwiespalts“ machen will32, Erbe einer
mindestens vier Jahrhunderte alten geistigen und dichterischen Tradi-
tion. Man denke an die griechische Tragödie, z. B. an den Neoptolemos
im Philoktet des Sophokles oder die euripideische Medea', an die Philo-
sophie, insbesondere die aristotelische Analyse von εγκράτεια und
άκρασία in der Nikomachischen Ethik33; an die Liebesdichtung von der
alexandrinischen Epigrammatik34 über das neoterische Epyllion eines
ερωτικόν πάθημα zu Catuli (vgl. bes. c. 8), zu Vergils Bukolik (ecl. 2
und 10) und dessen Aeneas-Dido-Erzählung (Aen. 1-4), zu den augu-
steischen Liebeselegikern.
Die Frage, ob mit der Darstellung des Durchlebens und Durchleidens
31 Vgl. u.S.58.
32 Reinhardt (1938), Parisurteil, S. 36.
33 EN 7,1-7.
34 Seelischer Konflikt wird conceptistisch als Ich-Spaltung beschrieben und gedeutet von
Kallimachos in epigr. 41 Pf. und (nach diesem) von Q. Lutatius Catulus, fr. 1 FPL (Mo-
rel-Büchner).