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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0066
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Ernst A. Schmidt

Weltgestalt wird also verstanden auch als Chiffre, Zeichen, Bild, Spie-
gel; diese illustrieren oder vertreten nicht einen Begriff (wie z.B. eine
Charaktereigenschaft, ein Laster), sondern sind gerade unbegriffliche
Stenogramme jeweils komplexer narrativer Wahrheiten.
Worum es in dieser Abgrenzung von Pianezzola geht, klärt sich weiter
durch Einbeziehung der These von Dörrie (1959), Wandlung und
Dauer. Erst durch die Metamorphose finde der Mensch zu seinem wah-
ren Wesen, wozu Holzberg (1988), Einführung in Metamorphosen,
S. 730 richtig anmerkt, im Charakter der Callisto seien vor ihrer Ver-
wandlung keine typischen Eigenschaften eines Bären zu entdecken. In
der Tat geht es darum nicht, ob man es nun in Pianezzolas oder in Dör-
ries Sinn auslegt. Vielmehr sind einige Sterne am nördlichen Himmel
durch die Metamorphose zu einem Bild zusammengefaßt worden, das
eben für die Geschichte steht, die zu jener Metamorphose führte, womit
ein Naturausschnitt, ein Weltstück vermenschlicht und bildliches Zei-
chen für eine Geschichte wurde. Die Welt ist durch Ovids Metamorpho-
sen ein solcher Bildersaal geworden. Die stabile Welt in ihrem Formen-
reichtum wurde in den Verwandlungsgeschichten vorübergehend narra-
tiv verflüssigt (d. h. fiktiv aufgehoben, um sie poetisch-erzählerisch wie-
der schaffen zu können), um sie dadurch anthropomorph im Sinn
menschlicher Bedeutung zu machen, zu einem Ensemble von Lakonis-
men, die reichstes Menschenschicksal und -wesen in sich speichern.
Pianezzolas Interesse an der Technik der Metamorphose ist in Gefahr,
die Bedeutung aus dem Auge zu verlieren. Das zeigt sich insbesondere im
Zusammenhang seiner Beobachtung, daß Ovid für den Verwandlungs-
vorgang das zu verwandelnde Wesen und ebenso die Gestalt, die durch
die Metamorphose entstehen soll, in kleinere Einheiten und damit zu-
gleich in mehrere kleinere Metaphern aufspaltet.28 Abgesehen davon,
daß die Teilmetaphern in der Entstehung von Menschen aus Steinen, der
Verwandlung Lycaons in einen Wolf und der Daphne in einen Lorbeer-
baum nicht über die Analogie von menschlichen Körperteilen mit Struk-
turelementen des Gesteins (Adern) oder Teilen von Tier und Baum
28 Pianezzola (1979), Metamorfosi come metafora, S. 85 zu den Steinen Deucalion und
Pyrrhas: „l’oggetto di partenza [. . .] e l’oggetto di arrivo [. . .] vengono da Ovidio scompo-
sti nei loro elementi costitutivi“; „scissione dell’oggetto da trasformare in unitä minori“;
S. 88 zum Wolf Lycaon: „La metafora principale [. . .] si precisa visivamente, artico-
landosi in metafore minori“; S. 88f. zu Daphne-Lorbeer: „Ovidio scopre tra essere um-
ano e albero tutta una serie di omologie: [. . .] Ognuna di queste corrispondenzi si confi-
gura comeuna metafora. [. . .]seriedimetaforesononarrativamentedisposte[. . Jcosida
dar luogo alla metafora principale.“
 
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