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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0094
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Ernst A. Schmidt

(met. 1,750-2,400). Otis10 verbindet zu Recht die Phaethongeschichte
mit der ersten Hälfte von Buch 1. Allerdings sind nicht nur Sintflut und
Weltbrand miteinander zu verknüpfen, wie Otis es tut, sondern beide
mit der ,Kosmogonie‘ und Menschenschöpfung. Die Sintflut bedrohte
das Leben der Erde und primär das der Menschheit; Phaethons Sturz
bedrohte als Weltbrand den Kosmos (met. 2,305f.). Die Sintflut war
Strafe für Frevel und Gewalttat unter den Menschen gewesen (met.
l,214f. 240ff.), der Weltbrand ist Folge menschlicher Überhebung
(met. 2,54ff.). Der Zusammenhang der beiden Katastrophen ist in met.
1,253-261 angedeutet.
Bei Otis11 stehen die vorzüglichen Formulierungen: „unceasing pro-
cess of motif transformation“ oder „continuous shifts of mood and mo-
tif, of tone and style“ (bzw., weniger glücklich, „a constant shifting of
narrative units“12). Solche Themenverschiebung, welche die Keimform
eines neuen Themas oder die Adaptierung eines vertrauten Themas an
seine andere Umgebung sein kann, läßt sich auch nach Analogie der
enharmonischen Verwechslung begreifen, also „der Tonart-Umdeu-
tung mit Hilfe eines veränderten Leittons“.13
§ 19 Ovids Themenführung
Indem ich nun die Einsichten unter den drei Rubriken wechselnde
Themendominanz, Antizipation und Nachklang, Variation und konti-
nuierliche Verschiebung des Themas miteinander verbinde, stelle ich
10 Otis (19702 = 19661), Ovid, S. 91 ff.
11 Otis (19702 = 19661), Ovid. S. 86. 89; vgl. Otis (1970), Conclusion, S. 322: „motif-de-
velopment“.
12 Otis (1970), Conclusion to Ovid, S. 311; vgl. S. 315. - Galinsky (1975), Ovid’s Metamor-
phoses, S. 13 und 62 betrachtet die Form der Metamorphosen als Metamorphose, ein
glückliches Apercu, solange es nicht im Kontext meines Verständnisses der ovidischen
Metamorphose aufgenommen wird: die thematische Veränderung der Dichtung im Le-
seprozeß ist allmählich, kontinuierlich und mehrmalig, der Grundtyp der Verwandlung
der Figuren des Werks dagegen ist die schlagartige, einmalige und endgültige Metamor-
phose.
13 Ich gebe die Definition des musiktechnischen Terminus als Zitat aus Henkel (1983),
Goethes Philemon-und-Baucis-Szene, S. 132, um auf eine Studie aufmerksam zu ma-
chen, in der der technische Ausdruck für einen Sachverhalt in der Musik metaphorisch
zur Beschreibung eines Phänomens in der Literatur verwandt wird: im Zusammenhang
mit Bildern des alten Goethe heißt es bei Henkel, daß ihre „antikmythische Tonart [. . .]
in die christliche“ umgedeutet werde.
 
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