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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0099
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Ovids poetische Menschenwelt

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grammatische Erzählung.2 Wie wird dieser Charakter, die Modellfunk-
tion der Geschichte außer durch ihre Stellung wirksam? Inwiefern ist die
Konstellation Apollo-Daphne exemplarisch? Welche thematischen
Entwicklungen werden von dieser Liebesgeschichte in Gang gebracht?
Apollo, der Herr des Bogens (met. 1,441: „deus arquitenens“) und
stolze Sieger über das Monstrum Python, verspottet Cupido und dessen
Bogen. Erzürnt entsendet der Liebesgott zwei Pfeile, einen spitzen, der
Liebe entzündet, auf Apollo, einen stumpfen, der Liebe vertreibt, auf
Daphne, die Tochter des Flusses Peneus (v. 472), der durch das Tempe-
tal fließt (v. 568ff.) Mit beiden Elementen, dem Liebesgott und der
Daphne, untermauert Ovid gewissermaßen unterirdisch seine offener
zu Tage liegende Verknüpfung in thematischer und narrativer Hinsicht
von Kosmogonie über Python zur ersten Liebesgeschichte des Werkes.3
Was den Lorbeer betrifft, so schloß die aitiologische Tradition an den
Sieg Apollos über Python die erstmalige Bekränzung des Gottes mit
Lorbeer aus dem Tempetal an.4 In dieser Tradition findet sich keine
Metamorphose, keine Liebesgeschichte. Die erotische Verwandlungs-
geschichte hat Ovid aus anderer, von uns nicht mehr zu bestimmender
Quelle.
In der kosmogonischen Tradition (Hesiod, Parmenides), wie sie im
Symposion Platons gebündelt sich darstellt, bzw. in der bei Platon und
Aristoteles faßbaren traditionellen Hesiodinterpretation ist Eros eine
kosmogonische und theogonische Urgottheit. Ovid hatte in seiner Kos-
mogonie und Menschenerschaffung auf eine solche Funktion des Eros
verzichtet und verzichten müssen. Denn einmal wollte er eine moralisti-
sche Anthropologie auf dem Boden einer für die Zeitgenossen plausi-
2 Vgl. Fränkel (1945), Ovid, S. 78; Doblhofer (1960), Ovidius urbanus, S. 79 und 84; Segal
(1969), Ovid’s Landscape, S. 39; Davis (1983), Death of Procris, S. 25 mit Anm. 19.
3 Vgl. methodisch zum folgenden Hofmann (1971), Motivische Verwebung.
4 Dieses Aition war das erste oder zweite im 4. Aitienbuch des Kallimachos (fr. 86 bis
89Pf.) und steht ähnlich bei Theopomp (115 FGrHist 80). Etwas anders Pausanias
10,5,9: nichts von Sieg über Python; erster delphischer Apollotempel aus Lorbeer vom
Tempetal. - Heißt „nondum laurus erat“ (met. 1,450) „the laurei did not yet exist“ (so
z.B. Solodow (1988), World of the Metamorphoses, S. 26) oder „Lorbeer war es noch
nicht“ (sc. womit sich die pythischen Sieger und Phoebus ihre Schläfen bekränzten) (so
z.B. Übers. Breitenbach)? Das ist weder von der lateinischen Sprache noch von der
ovidischen Metamorphose her zu entscheiden. Die aitiologische Tradition führt eher auf
die zweite Alternative. Für die poetische Bedeutung der Metamorphose ist es dagegen
gleichgültig, wie man auffaßt, zumal Ovid in anderen Geschichten sowohl die eine als
auch die andere Möglichkeit gewählt hat. Die Bedeutung von ,Wolf‘ ändert sich nicht, ob
Lycaon der erste Wolf war oder ein Wolf wurde. Vgl. o. S. 20-23.
 
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