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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0100
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98

Ernst A. Schmidt

bien und akzeptablen philosophischen Weltanschauung geben, und
außerdem hatte sich Eros über die hellenistische Dichtung und bildende
Kunst gänzlich von solcher Urzeitgewalt und solchen urtümlichen Vor-
stellungen fortentwickelt zum putto-artigen Erosknaben, dessen Bogen
und Pfeile spielerisch, illustrativ bis konzeptistisch, zur Darstellung ge-
rade auch der je eigenen Liebe eingesetzt wurden. Die hesiodeische kos-
mogonische Trinität Chaos, Gaia und Eros (Theogonie 116-122) war
also nicht mehr zu reproduzieren. Nachdem aber Ovid mit Chaos und
Gaia (Terra in allen drei Berichten der Menschenerschaffung5) sehr nah
an diese Trinität herangekommen war, vervollständigt er sie gleichsam
in der ersten Liebesgeschichte des Werks, die nicht als irgendeine Lie-
besgeschichte erzählt wird, sondern die grundsätzliche, prototypische
Bedeutung erhält, die Urzeiterzählungen als solche auszeichnet: die
Daphnegeschichte wird erzählt im Zusammenhang mit dem Urdrachen
Python; Eros überwältigt einen Gott (Apollo); es ist dessen erste Über-
wältigung („Primus amor Phoebi...“); indem Cupidos Bogen noch
über den Bogen Apollos triumphiert, ist Liebe ein stärkeres ,Monstrum1
als das urweltliche Untier Python.
All dies klingt schon in met. 1,452 an: PRIMUS AMOR bedeutet ge-
wissermaßen auch, daß Amor die erste (früheste, uranfängliche und
auch höchste) Gottheit ist.6 Ovid weist mit der ersten Liebesgeschichte
seiner Dichtung und der Welt auf die Macht der Liebe in der Welt und
die Bedeutung der Liebe in seinem Werk hin, nicht indem er das alexan-
drinische Erosbild ins Archaische transponierte, sondern indem er seine
durchaus ,alexandrinisch‘ bleibende Erzählung als Grund- und Muster-
erzählung verstanden wissen will.
Aus der prototypischen Bedeutung und expositorischen Funktion der
Liebesgeschichte von Apollo und Daphne ergibt sich die Interpreta-
tionsaufgabe, ihre Hauptmotive in der übrigen Dichtung zu verfolgen.
Dabei werde ich aber innerhalb des Themas „Götterliebe zu Menschen“
bleiben, wenngleich die Stellung der Erzählung das Thema Liebe über-
haupt, also auch das Thema zwischenmenschlicher Liebe, mit expo-
niert. Ich untersuche diese Motive oder thematischen Aspekte: Cupidos
Pfeile oder Der Triumph der Liebe (§ 21), Liebesgeschichten Apollos:
von der ersten zur letzten Liebe (§ 22), Begehrende Götter und sterbli-
che Mädchen. Jungfräulicher Widerstand und sexuelle Gewalt (§ 23).

5 Vgl. o. S.35f., Anm. 41.
6 Vgl. Parmenides, fr. 13: πρώτιστον μέν Έρωτα . . .
 
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