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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0115
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Ovids poetische Menschenwelt

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einen Mann trifft9 (vgl. met. 3,164. 178f. 185. 189. 192. 254f.: „severa/
virginitate“)· Es ist die Liebe Jupiters, wie er sie seiner Gemahlin ge-
währt, göttlich, die seine sterbliche Geliebte verbrennt. Vgl. met.
3,284 f.: „quantusque et qualis ab alta / lunone excipitur, tantus talisque,
[. . .]/ det tibi complexus“; 293-295: „qualem Saturnia [. . .]/ te solet am-
plecti, Veneris cum foedus initis,/ da mihi te talem.“ Nicht Erscheinung
von Gestalt und Anblick10, sondern göttliche Männlichkeit und Potenz.
Die „dona iugalia“ (v. 309) sind der Blitz als Jupiters Gattenliebe, Blitz
und Feuer Jupiters als männliches Glied und Same. Jupiter nimmt nicht
seinen stärksten Blitz mit, nicht das gigantenzerschmetternde ,Feuer‘
(„ignis“, v. 303), das zu wild ist (v. 304: „nimium feritatis“), sondern
macht sich schwächer (v. 302: „vires sibi demere temptat“) und ergreift
einen leichteren Blitz (v. 305: „levius fulmen“) mit weniger Wut und
Flamme (v. 306: „saevitiae flammaeque minus“).11 Und doch, so heißt
es in v. 308 f., „corpus mortale tumultus / non tulit aetherios donisque
iugalibus arsit“.12 Deshalb ist Dionysos der Feuergezeugte, „ignigena“;
vgl. met. 4,12: „ignigenamque satumque iterum solumque bimatrem“.
Nur „bimatrem“ geht auf doppelte Geburt und doppelte Austragung,
indem erst der Mutterleib Semeles, dann der Schenkel Jupiters das gött-
liche Kind bargen und gebaren. Aber Bacchus ist auch zweimal gezeugt
(„satumque iterum“), das zweite Mal durch das Feuer von Jupiters Blitz.
„Ignigena“ kann nicht heißen: „geboren als aus dem Leib der brennen-
den Mutter gerissen“ bzw. „der mit Feuer als Hebamme Geborene“;
auch in „proles fulminis improbi“ (Seneca, Medea 84) ist der Blitz Vater/
Same, nicht die Hebamme des neuen Gottes. Die Bedeutung von „igni-
9 Cancik (1982), Jungfrauenquelle, S. 62f. betont: „Ob und was Actaeon gesehen hat,
sagt Ovid nicht. Ovid erzählt also nicht, wie Actaeons Blick die Göttin traf.“ Selbst die
einzige objektiv scheinende Feststellung (v. 185) - denn v. 192 f. ist parteiliche Zeugen-
aussage Dianas-, das Partizip Passiv „visa“, entspricht, als Begründung für Dianas Er-
röten (v. 185: „in vultu visae sine veste Dianae“), eher einem „quod visa esset“ als einem
„quod visa erat“. „Die Jagd auf den Mann“ (Cancik, S. 63) war Ovid also wichtiger nicht
nur als alles Voyeuristisch-Erotische, sondern auch sogar als das pure Faktum des männ-
lichen Blickes. Es kam ihm auf die Präsenz der Jungfräulichkeit (Diana und ihre Nym-
phen) für Actaeon an; die Nymphen sehen den Mann (v. 178f.), Diana spricht ihn an
und verwandelt sein Gesicht.
10 Vgl. demgegenüber Vergil, Aen. 2,591 f.: „confessa deam qualisque videri / caelicolis et
quanta solet.“ - Bei Ovid fehlen Verben des Zeigens, Sehens, Erscheinens. Daher trifft
Fränkels thematische Zusammenfassung der thebanischen Geschichten, „sehen, was sie
nie hätten sehen dürfen“ (vgl. o.), für Semele nicht eigentlich zu.
11 Vgl. die Befürchtungen des Esels Lukios in Kap. 51 der gleichnamigen Geschichte.
12 Die Stelle infolge der meist verharmlosenden Lesung übersehen von Speyer (1978),
Zeugungskraft des Feuers.
 
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