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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0130
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Wolfgang Raible

Wenn Kinder mit dem Beginn des dritten Lebensjahres die „holo-
phrastische“ Phase hinter sich lassen und nun - zunächst zwei - satzar-
tige Äußerungen aufeinander folgen lassen, verfahren sie zunächst nach
dem Prinzip der einfachen Anreihung. Ein Ereignis wird beispielsweise
als Abfolge einzelner Sachverhaltsdarstellungen verstanden, die das
zeitliche Nacheinander der einzelnen Teil-Ereignisse „ikonisch“ abbil-
den:
- Hat der Florian geweint. Hat die Mama liebhabt. (Florian, 2;4)
- Jetzt zieh ich aus die Schuhe. Jetzt geh ich nicht mehr Garten. (Florian, 2;4)
Hier verwendet das Kind eine der aggregativen Strategien der Dimen-
sion ,Junktion‘, Koaleszenz durch Parallelismus im einen Fall, zusätz-
lich durch gleichen Erst-Aktanten im zweiten Fall. Auch Verbindungen
durch und, und dann, et puis etc. sind möglich:
- Und hab ich die Füße Bett getut und hab ich reinfallen Bett (Florian 2;4).
In dieser Phase verfügen die Kinder - aus der Sicht des erwachsenen
Beobachters - nur über die beiden Extreme der Dimension ,Junktion‘,
also über den Bereich, wo sich die beiden verschränkten Enden des Mö-
bius-Bandes berühren. Die Eroberung der Möglichkeiten, die diese Di-
mension bietet, geht vom Pol der Aggregation aus. Sie beginnt mit der
Entdeckung des allgemeinen Prinzips, daß Sachverhalte und ihre
sprachlichen Abbildungen, die Sachverhaltsdarstellungen, in einem „in-
neren“ Verhältnis zueinander stehen können. In dieser Phase entdecken
die Kinder, daß es in der Sprache der Erwachsenen Junktoren im Sinne
von Konjunktionen gibt. Sie wählen eine dieser Konjunktionen aus und
verwenden sie zunächst völlig merkmallos. Im Deutschen kann dies
etwa die Konjunktion wenn sein10, im Französischen que11.
In einer ersten Phase kann nun diese merkmallose „Oberkonjunk-
tion“ (im Sinne von ,Oberbegriff4) als reiner Ausdruck des Entdeckens
10 Im Fall der drei Söhne des Verfassers war es die Konjunktion wenn (in einem Fall oft als
wenns realisiert).
11 Der Sohn Heinrichs des IV von Navarra, der spätere Ludwig XIII, verwendet am An-
fang des XVII. Jahrhunderts z. B. que. (Über die Sprache des Dauphin sind wir deshalb
sehr gut informiert, weil sein Leibarzt Héroard in einem Tagebuch, das 5700 Folioseiten
umfaßt, genaueste Beobachtungen - auch sprachlicher Art - über seinen Schützling
festgehalten hat. Bei den sprachlichen Aufzeichnungen in direkter Rede hat er sich
sogar einer Art Lautschrift bedient. Vgl. zu Héroard Ernst (1985) und (1989).
 
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