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Wolfgang Raible
Nicht die scheinbar wörtliche Übersetzung ist hier gefragt - sie hatte
gelautet:
„Nach dieser Trugerscheinung geschah es eines Tages, daß ich, als ich nachdenk-
lich irgendwo saß, und plötzlich verspürte ich ein Zittern im Herzen, als ob ich vor
jener Dame stünde“.
Angebracht wäre vielmehr:
„Nach dieser Trugerscheinung geschah es eines Tages, daß ich, als ich nachdenk-
lich irgendwo saß, da verspürte ich plötzlich ein Zittern . . . bzw. . . . plötzlich ein
Zittern verspürte ... “
Interpretiert man die Vorkommen in diesem Sinne, so treten keinerlei
Probleme auf - im Gegenteil. Man erkennt dann sogar unschwer, daß
dieses romanische ,und‘ weitgehend gleichwertig ist mit dem romani-
schen ,sic‘, das an derselben Stelle auftritt (und dem deutschen ,so‘ in
der oben genannten Funktion entspricht). Dies hat im übrigen schon
Wilhelm Meyer-Lübke gesehen, der sich im Syntax-Band seiner Gram-
matik der Romanischen Sprachen - wie schon sein Vorgänger Friedrich
Diez - sowohl mit den et- wie auch mit den sz-Fällen befaßt hat47. Meyer-
Lübke schreibt dazu:
[§651] „Nimmt der Verbalsatz [Meyer-Lübke nennt so den Hauptsatz] die zweite
Stelle ein, so wird öfter mit einem sic ,so‘ auf den Teilsatz [Nebensatz] zurückge-
wiesen, dieser gewissermassen nochmals zusammengefasst. Am häufigsten ge-
schieht dies bei temporalen, bei kausalen oder kondizionalen, seltener bei Sub-
jekts- und Objektsätzen, aber in allen Fällen ohne Rücksicht darauf, ob beide
Sätze gleiches oder verschiedenes Subjekt haben, vgl. ... [es folgen nun Bei-
spiele]“.
Er fährt dann fort:
[§652] „Ähnlich findet sich in älterer Zeit et, vgl. ital. ...“ [es folgen Beispiele wie
mentre ehe l’oste e Lapaccio erano a questo punto, ed un romeo giunge — „während
der Wirt und Lapaccio an diesem Punkt waren, da kam ein Pilger an.“].
Im Altfranzösischen ist beides wohlbekannt. Man vergleiche aus Robert
de Clari bzw. Villehardouin Fälle wie48:
47 Wilhelm Meyer-Lübke 1899, §651-652. Sorrento übernimmt seine Beispiele z.T aus
Meyer-Lübke.
48 Vgl. auch Stempel 1964:259ff. und 271 ff. oder Rychner 1968:588.
Wolfgang Raible
Nicht die scheinbar wörtliche Übersetzung ist hier gefragt - sie hatte
gelautet:
„Nach dieser Trugerscheinung geschah es eines Tages, daß ich, als ich nachdenk-
lich irgendwo saß, und plötzlich verspürte ich ein Zittern im Herzen, als ob ich vor
jener Dame stünde“.
Angebracht wäre vielmehr:
„Nach dieser Trugerscheinung geschah es eines Tages, daß ich, als ich nachdenk-
lich irgendwo saß, da verspürte ich plötzlich ein Zittern . . . bzw. . . . plötzlich ein
Zittern verspürte ... “
Interpretiert man die Vorkommen in diesem Sinne, so treten keinerlei
Probleme auf - im Gegenteil. Man erkennt dann sogar unschwer, daß
dieses romanische ,und‘ weitgehend gleichwertig ist mit dem romani-
schen ,sic‘, das an derselben Stelle auftritt (und dem deutschen ,so‘ in
der oben genannten Funktion entspricht). Dies hat im übrigen schon
Wilhelm Meyer-Lübke gesehen, der sich im Syntax-Band seiner Gram-
matik der Romanischen Sprachen - wie schon sein Vorgänger Friedrich
Diez - sowohl mit den et- wie auch mit den sz-Fällen befaßt hat47. Meyer-
Lübke schreibt dazu:
[§651] „Nimmt der Verbalsatz [Meyer-Lübke nennt so den Hauptsatz] die zweite
Stelle ein, so wird öfter mit einem sic ,so‘ auf den Teilsatz [Nebensatz] zurückge-
wiesen, dieser gewissermassen nochmals zusammengefasst. Am häufigsten ge-
schieht dies bei temporalen, bei kausalen oder kondizionalen, seltener bei Sub-
jekts- und Objektsätzen, aber in allen Fällen ohne Rücksicht darauf, ob beide
Sätze gleiches oder verschiedenes Subjekt haben, vgl. ... [es folgen nun Bei-
spiele]“.
Er fährt dann fort:
[§652] „Ähnlich findet sich in älterer Zeit et, vgl. ital. ...“ [es folgen Beispiele wie
mentre ehe l’oste e Lapaccio erano a questo punto, ed un romeo giunge — „während
der Wirt und Lapaccio an diesem Punkt waren, da kam ein Pilger an.“].
Im Altfranzösischen ist beides wohlbekannt. Man vergleiche aus Robert
de Clari bzw. Villehardouin Fälle wie48:
47 Wilhelm Meyer-Lübke 1899, §651-652. Sorrento übernimmt seine Beispiele z.T aus
Meyer-Lübke.
48 Vgl. auch Stempel 1964:259ff. und 271 ff. oder Rychner 1968:588.