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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0196
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Wolfgang Raible

durchaus Grade der Reflektiertheit und der bewußten Gestaltung eines
vorab konzipierten Texts. Dies zeigt sich beispielsweise in der Ontoge-
nese der Schreibfähigkeit, wie sie in der Schule Piagets verstanden wird.
Dort werden drei Stufen angesetzt8. In einer ersten überblickt das Kind
nur eine ganz kurze „Strecke“ Texts, vielleicht einen oder zwei Sätze.
Hat es sie niedergeschrieben, so meldet es, es wisse nicht, was es nun
noch schreiben solle. In einer zweiten Stufe überblickt es das Muster
eines ganzen Texts. Es weiß, wie ein Brief „geht“, wie man eine von
anderen angefangene Fabel zu Ende bringt oder eine kleine Erzählung
gestaltet. Schon in dieser zweiten Phase geht es darum, Muster zu be-
herrschen, die andere Kommunikationspartner ebenfalls kennen und
deshalb normalerweise erwarten. Ganz auf den Kommunikationspart-
ner ist dann die dritte Phase ausgerichtet. In ihr geht es darum, sich in
den anderen, den Rezipienten, zu versetzen und den eigenen Diskurs so
zu gestalten, daß der andere ihm optimal folgen kann. Diese Phase setzt
ein sehr hohes Bewußtsein beim Schreibenden oder Sprechenden vor-
aus. Sie setzt nicht zuletzt voraus, daß das zu Sagende genau durchdacht
und die Anordnung so gesteuert ist, daß der andere nicht überfordert,
sondern sicher gelenkt wird. Es dürfte klar sein, daß man einem solchen
Ideal immer nur nahe kommen, daß man es aber nie eigentlich erreichen
kann. - Es ist somit evident, daß bei der Verschriftlichung von Sprache
das kompensiert werden muß, was in der mündlichen Rede durch „ana-
loge“ Information, also durch Intonation, Gestik und Mimik geleistet
wird; evident ist gleichfalls, daß Schriftlichkeit besondere Anforderun-
gen an die konzeptionelle Seite stellt.
Daß die Intonation - um mit diesem Bereich zu beginnen - auch im
Bereich der Junktion eine besondere Rolle spielt, ergeben Untersu-
chungen gesprochener Sprache. Marianne Mithun ist, angeregt durch
einen Beitrag von Wallace L. Chafe (1982), in dem die Bedeutung der
Subordination für die Schriftsprache dargestellt wurde, der Frage nach-
gegangen, wie man Subordination vermeiden könne: „How to avoid
subordination“9. Sie hat zu diesem Zweck Äußerungen in einigen - nicht
8 Vgl. Carl Bereiter (1980); Marlene Scardamalia/Carl Bereiter (1986).
9 Marianne Mithun (1984). Dieser Beitrag hat, einige Jahre später, auch John Haiman und
Sandra A. Thompson zu der Feststellung veranlaßt: „complex embedding constructions
are a characteristic of literary registers“ (1988:xii). - Chafes Beitrag wurde oben in Kapi-
tel I schon im Zusammenhang mit der Verwendung der Begriffe ,Integration1 vs. .Frag-
mentation1 als Kennzeichnungen für schriftlichen und mündlichen Stil zitiert.
 
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