Metadaten

Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0219
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
V. Junktion, Mündlichkeit und Schriftlichkeit

217

ist einigermaßen gegen Fehlinterpretation gesichert37. Dafür gibt es je-
doch Nachteile. Der greifbarste Unterschied zwischen einer aggregati-
ven Abfolge vieler einzelner Sachverhaltsdarstellungen und einer einzi-
gen Sachverhaltsdarstellung, die alle anderen in sich integriert, ist, um
es nochmals mit Klaus Heger (1977) zu formulieren, folgender: im er-
sten Fall ist jede der einzelnen Sachverhaltsdarstellungen assertiert,
nicht jedoch ihr Zusammenhang. Im zweiten ist der Gesamtzusammen-
hang mit allen dazu gehörenden Relationen assertiert, nicht jedoch die
integrierten Sachverhaltsdarstellungen. Wer auf den oben zitierten juri-
stischen Sprechakt Karls des Kahlen mit der Äußerung reagiert, dies
glaube er nicht, stellt die Assertion eines der beiden oder beider „Haupt-
verben“, also „perdono ... et concedo“ in Frage, nicht jedoch eingebet-
tete Sachverhaltsdarstellungen wie „qui contra illum nihil misfecerunt“
oder „quod de mea donatione venit“. Dafür, daß ein ganzes Relations-
gefüge assertiert wird, nicht jedoch die einzelnen Relata, die es enthält,
ist aber noch ein hoher zusätzlicher Preis zu entrichten: es ist der einer
erschwerten Verständlichkeit.
Es gibt hier jedoch Unterschiede. Im Grundsatz gilt wohl, daß eine
Junktionstechnik mit zunehmender Integrativität schwerer durchschau-
bar und dadurch auch schwerer verständlich wird. (Dies trifft selbstver-
ständlich nicht für den Pol der Integration selbst [und die Technik der
einfachen Präpositionen] zu, die ja, zusammen mit dem Pol der Aggre-
gation, die Ausgangsbasis der Dimension ,Junktion‘ bilden; und es gilt
nicht für solche Junktionstechniken, die zu Präpositionen geworden sind
oder, wie bei Serialisierung, zu einer Valenzerweiterung des Verbs ge-
führt haben.) Ein Index für den Grad der Verstehensschwierigkeiten ist
der Spracherwerb. 1969 hat Carol Chomsky bei Roman Jakobson mit
einer Arbeit promoviert, in der das Verstehen englischer Syntax bei
Kindern zwischen fünf und zehn Jahren getestet wurde38. Im Englischen
gibt es - in aller Regel recht schriftsprachliche - Infinitivkonstruktionen,
37 Das Beispiel für einen stark integrierten - hier lateinischen - Satz ist noch harmlos im
Vergleich zu dem Usus, der sich in den Rechtssystemen einiger Länder entwickelt hat -
der nämlich, ein ganzes Gerichtsurteil als einen einzigen Satz zu formulieren. Solche
Sätze gehen in französischen Gerichtsurteilen über viele Seiten. Sie stellen, weil Einbet-
tungen bis zum siebenten oder achten Grad vorkommen, extreme Anforderungen an die
Syntax und sind typische Ausgeburten einer Schriftkultur. Vgl. dazu Thomas Krefeld
(1985). Ein anderes Beispiel für eine solche schriftkulturell-extreme Integrativität ist ein
Beitrag, den Klaus Heger (1983) bewußt so verfaßt hat: siehe Heger (1983 - Zum Ver-
hältnis). Auch dieser Beitrag besteht aus einem einzigen Satz.
38 Carol Chomsky (1969).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften