262
Wolfgang Raible
tur des Kreises in der Sprache“ im Sinne einer Antinomie zwischen
struktureller und linearer Anordnung gesprochen55.
2. Es gibt bei der Anzeige solcher Relationen, die zwischen Partizipan-
ten und Partizipatum gelten, nicht nur die Möglichkeit der Anzeige an
den Partizipanten (sei es durch Stellung, sei es durch Grammeme), son-
dern auch die der Anzeige am Partizipatum, für die wieder andere Re-
geln gelten. Zudem existiert der „Kompromiß-Typ“ ,SVO‘, der freilich
perzeptive Vorteile in einer Hinsicht wieder mit perzeptiven Nachteilen
anderer Art erkauft.
3. Die Linearisierung der Glieder einer Sachverhaltsdarstellung unter
dem syntaktisch-strukturellen Aspekt ist nur eines der Probleme, die im
System einer Sprache gelöst werden müssen. Die syntaktische Ebene
der Sachverhaltsdarstellung - die Tesnière im Auge hatte - interferiert
z.B. mit der der pragmatischen (Ebene der Äußerung) im Sinne von
Frantisek Danes (1964): Der „reine“ Typus „SOV“ würde es nicht er-
möglichen, einen Thematischen Erst- oder Zweit-Aktanten in die End-
position zu bringen. Das Partizipatum müßte dagegen stets Thematisch
sein.
Stellt man all dies in Rechnung, so sind mit einiger Wahrscheinlichkeit
selten Lösungen zu erwarten, die, etwa im Hinblick auf die Linearisie-
rung und die perzeptiv optimale Plazierung von Relationselementen,
völlig kohärent sind56. Ausnahmen sind zumeist Sonderfälle wie etwa
die Kreolsprachen, bei deren Entstehung sich bestimmte Tendenzen -
etwa die zu morphologischer Durchsichtigkeit, die ja auch in der Onto-
genese deutlich zu beobachten ist - relativ rein durchsetzen konnten.
Mit der weiteren Entwicklung wird diese Durchsichtigkeit indes längst
wieder durch Konflikt mit anderen Tendenzen getrübt57. Daß völlige
Kohärenz im Hinblick auf einen einzigen Faktor selten vorliegen kann,
gilt um so mehr, als
55 Vgl. Tesnière 1966, Kap. 7 [„Antinomie de l’ordre structural et de l’ordre linéaire“],
Abschn. 3: „II y a [. . .] antinomie entre l’ordre structural, qui est à plusieurs dimensions
(réduites à deux dans le stemma), et l’ordre linéaire, qui est à une dimension. Cette
antinomie est la „quadrature du cercle“ du langage. Sa résolution est la condition sine
qua non de la parole.“
56 Vgl. zu den vergeblichen Versuchen, alle Eigenschaften von Sprachen aus der Lösung
abzuleiten, die für die Linearisierung der Glieder von Sachverhaltsdarstellungen gefun-
den wurde, die brilliante Kritik von Wulf Oesterreicher (1989).
57 Vgl. hierzu Raible (1988) mit einer Kritik an der in der Regel ebenfalls einseitig orien-
tierten „Natürlichkeitstheorie“. - Das unbändige Verlangen, alles aus einem Punkte
Wolfgang Raible
tur des Kreises in der Sprache“ im Sinne einer Antinomie zwischen
struktureller und linearer Anordnung gesprochen55.
2. Es gibt bei der Anzeige solcher Relationen, die zwischen Partizipan-
ten und Partizipatum gelten, nicht nur die Möglichkeit der Anzeige an
den Partizipanten (sei es durch Stellung, sei es durch Grammeme), son-
dern auch die der Anzeige am Partizipatum, für die wieder andere Re-
geln gelten. Zudem existiert der „Kompromiß-Typ“ ,SVO‘, der freilich
perzeptive Vorteile in einer Hinsicht wieder mit perzeptiven Nachteilen
anderer Art erkauft.
3. Die Linearisierung der Glieder einer Sachverhaltsdarstellung unter
dem syntaktisch-strukturellen Aspekt ist nur eines der Probleme, die im
System einer Sprache gelöst werden müssen. Die syntaktische Ebene
der Sachverhaltsdarstellung - die Tesnière im Auge hatte - interferiert
z.B. mit der der pragmatischen (Ebene der Äußerung) im Sinne von
Frantisek Danes (1964): Der „reine“ Typus „SOV“ würde es nicht er-
möglichen, einen Thematischen Erst- oder Zweit-Aktanten in die End-
position zu bringen. Das Partizipatum müßte dagegen stets Thematisch
sein.
Stellt man all dies in Rechnung, so sind mit einiger Wahrscheinlichkeit
selten Lösungen zu erwarten, die, etwa im Hinblick auf die Linearisie-
rung und die perzeptiv optimale Plazierung von Relationselementen,
völlig kohärent sind56. Ausnahmen sind zumeist Sonderfälle wie etwa
die Kreolsprachen, bei deren Entstehung sich bestimmte Tendenzen -
etwa die zu morphologischer Durchsichtigkeit, die ja auch in der Onto-
genese deutlich zu beobachten ist - relativ rein durchsetzen konnten.
Mit der weiteren Entwicklung wird diese Durchsichtigkeit indes längst
wieder durch Konflikt mit anderen Tendenzen getrübt57. Daß völlige
Kohärenz im Hinblick auf einen einzigen Faktor selten vorliegen kann,
gilt um so mehr, als
55 Vgl. Tesnière 1966, Kap. 7 [„Antinomie de l’ordre structural et de l’ordre linéaire“],
Abschn. 3: „II y a [. . .] antinomie entre l’ordre structural, qui est à plusieurs dimensions
(réduites à deux dans le stemma), et l’ordre linéaire, qui est à une dimension. Cette
antinomie est la „quadrature du cercle“ du langage. Sa résolution est la condition sine
qua non de la parole.“
56 Vgl. zu den vergeblichen Versuchen, alle Eigenschaften von Sprachen aus der Lösung
abzuleiten, die für die Linearisierung der Glieder von Sachverhaltsdarstellungen gefun-
den wurde, die brilliante Kritik von Wulf Oesterreicher (1989).
57 Vgl. hierzu Raible (1988) mit einer Kritik an der in der Regel ebenfalls einseitig orien-
tierten „Natürlichkeitstheorie“. - Das unbändige Verlangen, alles aus einem Punkte