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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 5): Strassburg und Münster im Kampf um den rechten Glauben, 1532 - 1534 — Gütersloh, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.29142#0348
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IM KAMPF UM DEN RECHTEN GLAUBEN

Goth.: Wir haltens hierin wie der heylig Augustinus, laßt ir nun den ein hey-
ligen vatter und christlichen lerer sein, werdet ir uns lang nit zu ketzeren machen;
wir gestehn frey, was der mensch thut böß oder |M4b| guts, das sünd oder wol
gethon sein solle, das thut er mit freyem wissen und willen, dann sunst were es
auch weder böß noch gut, sünd oder wol gethon677. Täglich zwar hören wir die
entschuldigung, »ich habs nit gewisset, ich habs nit gern gethon«. Nun, wiewol
uns aber Gott also geschaffen hat, das wir eygens wissens, urteyls und fürnemmens
handlen, konden wir darumb uns auch zu jeman keren, uns im gantz vertrawen
und in ob allem lieben und umb seinetwillen alles thun und lassen, den wir nit
kennen mögen?
Gotp.: Was man nit kennet, das wurdt man auch nit lieben.
Goth.: Wolan, so schreibet der heylig Paulus, das der natürlich mensch gött-
liche ding - und redet des orts vom heyligen Evangeli - nit verstehn könde, sie
seyen im ein torheit [I Kor 1,18]. Auß dem volget nun ye678, das wir auß eignen
krefften und unserem freyen willen, wie wir noch679 nur natürlich menschen seind,
uns zu Gott nit keren könden, er muß sich uns zu erkennen geben, uns zu ym
ziehen und also das wöllen und thun in uns würcken. 68oSo er aber das würcket, jetz
leben wir Gott zu gefallen mit lieb und recht freyem, lustigen willen, haben also
alweg ein freyen willen, aber zum guten nit, dann so uns der geyst Christi leret,
füret und anleitet, von dem aller guter verstandt und erkandtnuß der warheit
kummet. Was? Thomas doch und die schullerer bekennen, das wir in disem un-
seremr zerstörtten wesen, in das wir durch die sünd kommen seind, Got als das
höchste gut nit lieben könden, so bekennen auch menigklich681 das glaub, hoff-
nung und lieb von Got eingegossne tugent seyend682.
Gotp.: Laßt ir nun ein freyen willen zu, warümb verleugnet ir dann den ver-
dienst und das genugthun des menschens?
Goth.: Wolt ir uns bey dem heyligen Augustino lassen beleyben, wurdt es
hieran auch nit not haben. Der Herr sagt uns Lon zu umb die guten werck683, wo
man nun lonet, da ver-| N 1 a | dienets man auch etwas. Es ist aber ein sollicher ver-
dienst, das Got dennocht in uns alles guts würcket und, wie Augustinus sagt,
seine gute werck in uns belonet684. Also, das auch ewer Eck bekennet, der ver-
dienst sey gantz von Got, wiewol nit gäntzlich, dann er will, das unsers willens
q) iltera. - r) unsereem. - s) So Bl.M4b unten; Bl.N1a oben: - dämmet.
677. Nach De civitate Dei 12,9; 15,21, ist es dem freien Willen jedoch nur möglich, Böses zu
tun, während der Wille zum Guten bei Engeln und Menschen seinen Ursprung in Gott hat;
CChr ser.lat.48, S.363f. S.486f. Über das Verhältnis von Gnade und freiem Willen vgl. In loh.
ev.tr.26; CChr ser.lat.36, S.259-269 und Enchiridion 30-32; CChr ser.lat.46. S.65ff.
678. Jedenfalls.
679. Doch.
680. August[in]. li[b]. de spiritu et literaq, cap.5[Marg.]. - CSEL 60, S. 59f.
681. Jeder, viele.
682. Thomas v. Aquin: S.th. I,2, q62,a3.
683. Vgl.Mt 10,41 f.; Lk 6,23.35.
684. Vgl. Epist. 194,5.19; CSEL 57, S. 190f.

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