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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]; Arens, Fritz [Bearb.]; Bauer, Konrad Friedrich [Bearb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 2 : Heidelberger Reihe ; Band 2): Die Inschriften der Stadt Mainz von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650: auf Grund der Vorarbeiten von Konrad F. Bauer — Stuttgart: Druckenmueller, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.52057#0071
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und auffällig gegliederten Buchstaben wuchsen schrittweise zu immer fester werdenden, ge-
schlossenen Gebilden zusammen, ein Vorgang, der in der gleichzeitigen Architektur in gleichem
Sinn verläuft.
Auch an Teilformen läßt sich diese Wandlung verfolgen, zum Beispiel am Schweif des R, der
anfangs geradlinig oder kaum gebogen, eine immer kräftiger werdende Schwingung erhält,
um schließlich fast in der Gestalt eines spiegelverkehrten S zu erscheinen. Im 12. Jahrhundert
begannen die Buchstabenformen außerdem breiter und flächiger zu werden; bei dieser Entwick-
lung führten offenbar die in der Technik des Grubenschmelzes ausgeführten Inschriften, die
deshalb — besonders im 12. Jahrhundert — nur mit Vorsicht zur Datierung von Steinschriften
herangezogen werden dürfen.
Die Gotik des 13. Jahrhunderts brachte diesen Schriftstil zur Klärung und Reife. Bizarre For-
men verschwanden, ebenso die eckigen, denen nun überall die gerundeten Nebenformen vor-
gezogen wurden: das E zum Beispiel erscheint fast nur noch in der Unzialform. Die einzelnen
Buchstaben schließen sich gegeneinander ab und bedecken mit wenigen Ausnahmen eine an-
nähernd quadratische Fläche. C, E und M erhielten an den offenen Seiten Abschlußstriche:
Q € CD (Nr. 36, 673). Jede Linie ist kräftig und harmonisch geschwungen; man beachte, wie
beim B, P und R der ehedem waagerechte Ansatz der Bogen emporschwingt, um dann mit
kräftiger Bauchung und Schwellung nach unten zu verlaufen. Ligaturen wurden im 13. Jahr-
hundert selten, meist verschwanden sie ganz.
Im 14. Jahrhundert erstarrten die Formen der Monumentalschrift wie die der Architektur. Sie
wurden streng, unkörperlich, metallisch und sehen nun meist wie mit Schablonen vorgezeichnet
aus. Dabei streckten sich die Proportionen, so daß aus der quadratischen Grundfläche der ein-
zelnen Buchstaben ein hohes schmales Rechteck wurde (Nr. 44, 48, 684, 708, 735).
Zur gleichen Zeit hatte sich als feierliche Buchschrift in Deutschland und Frankreich die strenge,
von den Schreibern „Textura“ genannte Minuskelschrift entwickelt, in der alle Bogen durch
Brechungen ersetzt sind, während die senkrechten Striche der Mittellängen oben und unten
rautenförmige Ansätze erhielten. Die Buchschrift drang im Laufe des 14. Jahrhunderts in die
Inschriften ein, und in Deutschland konnte sie die Majuskel im Verlaufe einiger Jahrzehnte
völlig verdrängen. Es fehlt noch an genauen Daten für diesen Vorgang, doch dürfte die
Inschrift auf dem Denkmal des 1320 gestorbenen Mainzer Erzbischofs Peter von Aspelt (Nr.
33) zu den frühesten monumentalen Anwendungen der Textura gehören (vgl. Nr. 706, 718).
Um das Jahr 1360 neigt sich die Waage: die Majuskel beginnt selten zu werden und um die
Jahrhundertwende ist sie von deutschen Inschriften so gut wie ganz verschwunden (Nr. 41, 56,
59 f., 792, 804 f.).
Die Textura wurde in reifer Ausbildung von den Steinmetzen übernommen, so daß eine
eigentliche Entwicklung dieser Schriftart auf den epigraphischen Denkmälern nicht zu ver-
folgen ist. Ihre Datierung ist in Zweifelsfällen dementsprechend schwierig. Gewisse Anhalts-
punkte bieten die Formen der Versalien, die anfangs in der Gestalt der älteren Majuskel er-
scheinen und erst nach und nach die dem Breitfederduktus entsprechenden Formen annehmen.
Auch werden im Laufe des 15. Jahrhunderts gelegentlich einige Kleinbuchstaben wie a und e
mit Zierschwüngen ausgestattet. Derartiges wechselt aber von Ort zu Ort, so daß bei der Ein-
reihung undatierter Inschriften nur die datierten Inschriften aus der gleichen Gegend weiter-
helfen können.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts treten neben der Textura gelegentlich auch andere, weniger
förmliche Abarten der Minuskel in Inschriften auf. Die von den Schreibern als „Bastarda“ be-
zeichnete Schriftart, die an den Unterlängen der Buchstaben f und f, am „einstöckigen“ a,
am mandelförmigen 0 und anderen entsprechend gebildeten Formen kenntlich ist, kommt
einige Male vor. In Mainz ist auf Denkmälern aus den Jahren 1484 und 1485 eine Minuskel
von humanistischer Prägung zu finden (Nr. 209, 955) und im 16. Jahrhundert fand die Frak-
tur, die seit dem Jahre 1513 als Druckschrift erscheint und im Laufe einiger Jahrzehnte zur
deutschen Volksschrift wurde, vor allem für Inschriften in deutscher Sprache Verwendung
(Nr. 779). Die Fraktur hat mit der Bastarda die soeben aufgeführten Merkmale gemein, aber

1 Diese beiden zunächst vereinzelt stehenden Beispiele stimmen nicht nur in der Schriftart überein, sondern die zugehörige Plastik
ist auch stilistisch so verwandt, daß man sie demselben Meister zugeschrieben hat. Dies geschah schon, bevor man auf die
Übereinstimmung der Schrift besonders geachtet hatte (vergl. Text zu Nr. 955). Also kann auch die Gleichheit der Schrift
Hinweise auf kunstgeschichtliche Zusammenhänge der betreffenden Denkmäler geben.

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