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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]; Arens, Fritz [Bearb.]; Bauer, Konrad Friedrich [Bearb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 2 : Heidelberger Reihe ; Band 2): Die Inschriften der Stadt Mainz von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650: auf Grund der Vorarbeiten von Konrad F. Bauer — Stuttgart: Druckenmueller, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.52057#0072
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sie ist wie die Textura mit Rautenfüßchen ausgestattet. Die Großbuchstaben haben eine sehr
bewegte Zeichnung, und mitunter setzt sich die flammenartige Schwingung auch in den Klein-
buchstaben fort.
Während in Deutschland rund hundert Jahre lang, etwa von 1380 bis 1480, die Minuskel als
epigraphische Schrift herrschte, war es ihr in Italien und Frankreich nicht gelungen, die Ma-
juskel von den Denkmälern zu verdrängen. Eine bemerkenswerte Weiterentwicklung der go-
tischen Großbuchstabenschrift zu sehr eigenartigen Vorrenaissance-Formen dürfte im beson-
deren in den Ländern des burgundischen Herzogtums vor sich gegangen sein. Die Entwick-
lung erscheint hier wie rückläufig: die Schrift wird magerer und offener und erinnert oft
an die des 12. Jahrhunderts. Altertümliche und gesucht seltsame Formen — zum Teil byzan-
tinischer Herkunft — treten auf, und die in Mainz erhaltene Inschrift dieser Art, die in den
achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts erneuerte Grabinschrift der 798 gestorbenen Königin Fa-
strada, dürfte besonders gut zeigen, daß es sich tatsächlich um beabsichtigten Archaismus, um
eine „littera seniorum“ handelt h Das Auftreten dieser Schriftart scheint im übrigen in engem
Zusammenhang mit dem Einfluß des burgundischen Hofstils auf die deutsche Kunst zu stehen.
In Italien hatte sich unterdessen die Rückkehr zur reinen römischen Kapitalschrift vollzogen,
die damit zum drittenmal auf den Denkmälern erschien. Auf deutschem Boden ist sie im 15.
Jahrhundert nur vereinzelt anzutreffen. Eine ins Jahr 1484 zu setzende Mainzer Inschrift (Nr.
206) scheint das älteste erhaltene Beispiel zu bieten 2. Die Schriftformen folgen hier, wie gele-
gentlich auch in späteren Zeiten, recht genau dem klassischen Vorbild, von dem sie sich im
Laufe des 16. Jahrhunderts nicht selten wieder beträchtlich entfernen. So wird der Kontrast
zwischen feinen und fetten Linien stärker, und in den Einzelformen sind manche Neubildun-
gen anzutreffen. Die schrägliegenden Abwandlungen der humanistischen Schrift treten zusam-
men mit den ersten barocken Neigungen der Kunst in den Inschriften auf; in Mainz stammt
das älteste erhaltene Beispiel aus dem Jahre 1609 (Nr. 558)3.

1 Ein sehr frühes Beispiel ist die Künstlerinschrift des Hans Multscher an dem steinernen Kargaltar von 1433 im Ulmer Münster,
wo bei eingestreuten Unzialbuchstaben doch die Kapitale vorherrscht. Vergl. ferner die Inschrift des Rationales auf dem
Grabmal der Bischofs Johann von Grumbach + 1466 im Würzburger Dom.
2 Tatsächlich konnte ich bisher keine älteren Beispiele finden. Der von Bischof Johann von Dalberg 1488 gestiftete Stammbaum
Christi, jetzt im Wormser Dom, und eine Bauinschrift im Parlatorium zu Maulbronn von 1493 sind die nächsten, jedoch
jüngeren Antiqua=Inschriften. Aber auch in Mainz dauert es eine Zeitlang, bis die Kapitale wieder auftaucht. Das zweite
Beispiel ist 1504 (Nr. 278), also 20 Jahre nach der Madonna der Palästinafahrer entstanden.
3 Das Denkmal der Domherrren von Bocholtz (Nr. 558) fällt allerdings aus der Mainzer Entwicklung heraus. Es zeigt stilistische
Eigentümlichkeiten, die entsprechend der Herkunft der Toten und des Stifters nach Westfalen weisen. — Von dieser Zeit ab
wird auch bei repräsentativen Beispielen besonders Wert darauf gelegt, Zeilen mit wichtigerem Inhalt, z. B. die Namen, Titel,
Tugenden, bemerkenswerte Ereignisse, Daten, durch Kürze und größere Buchstabenhöhe hervorzuheben (Nr. 531, 599, 601,
621), so daß sich ein abwechselungsvolles „Satzbild" ergibt.

Literatur zur Geschichte der epigraphischen Schrift
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