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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0603
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Kirchenordnung 1601

wenn er von Gott heimgesucht wird, mit widerwer-
tigkeit und kranckheit, fürnemlich aber in todes-
nöhten.
Denn alsdann ist sein gewissen mehr geängstiget
denn sonst im gantzen leben, dieweil er fühlet, daß
er für das gericht Gottes erfordert wird, auch von
wegen der anlauf und anfechtung des teufels, wel-
cher dem menschen alsdann mit gewalt zusetzt, auf
daß er das arme krancke und betrübte hertz gar
unterdrucken und endlich in abgrund der verzweife-
lung stürtzen möge.
[Warumb kirchendiener solche treu den krancken
schüldig sind. Psal. 9, V. 10. Jes. 57, V. 16.] Derhal-
ben, dieweil die kirchendiener Gottes diener sind
und aber Gott unter andern seinen ehrentitulen für-
nemblich diesen führet, daß er sey eine zuflucht der
elenden, ein heyland deren, so zerbrochens und zer-
schlagens hertzens sind, so sollen auch die diener
Gottes mit allem mitleiden, treu und fleiß die be-
trübten hertzen trösten und zu dem sohn Gottes
durch die verkündigung seines heiligen evangelions
weisen, der inen mit diesen uberauß tröstlichen
wordten hülfe verspricht: [Matth. 11, V. 28.] Kompt
her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid,
ich wil euch erquicken.
[Worauf anfenglich ein kirchendiener bey dem
krancken acht soll haben.] Wenn aber nun ein kir-
chendiener zu einem krancken kompt, muß er an-
fänglich fleissig warnemen, was es für eine gelegen-
heit mit ihm habe, waß eigentlich sein anligen und
beschwernuß sey, ob er ihm allein den leiblichen
schmertzen der kranckheit und furcht des todes las
angelegen sein oder aber, ob er der sünden und ver-
damnuß halben beschweret und geängstiget sey oder
andere anfechtung habe. Dann nachdem ers befin-
det, soll er die unterweisung und tröstung des kran-
cken anstellen und die artzney auf die kranckheit
und sein anligen und beschwerung mit vernunft und
bescheidenheit richten, damit er weder zu wenig
noch zu viel thue84.
Wiewol aber nicht alle krancken einerley beküm-
mernuß und anligen haben und derwegen auch kein
84 Dieser Abschnitt neu gegenüber 1563.
85 Ähnlich schon in 1563, vgl. oben S. 402.
86 Folgendes weitläufigere Ausführung des entspre-
chenden Abschnitts in 1563, vgl. oben S. 402.

solche form, dieselbigen zu trösten, kan fürgeschrie-
ben werden, die auf eines jeden anligen gerichtet
wer und sich schicket, jedoch können diese nachfol-
gende punctlein und lehren den krancken (doch
nach befindung eines jeden gelegenheit) ohngefehr-
lich, wie hernach folget, fürgetragen werden.
[Was dem krancken fürnemlich fürzuhalten.]
Erstlich, das alle kranckheiten nicht ohne gefehr,
sondern von der hand Gottes und seiner väterlicher
vorsehung uns zugeschickt werden, auf das wir unser
sünden als die ursach alles unsers elends und jam-
mers erkennen, [Ursach aller Kranckheiten.] uns für
Gott demütigen und seiner gnad und hülf begeh-
ren85.
86Und allhie muß der kirchendiener wol acht ha-
ben, ob der krancke seine sünde recht erkenne und
fühle und hertzlich reu und leid darüber habe oder
nicht. Dann, wenn er die sünde nit recht erkennet,
muß im der kirchendiener dieselbe auß dem gesetz
wol scherfen und für augen stellen, daß er den zorn
Gottes wider die sünde und die verdiente strafe er-
kenne und fühle und die gnade Gottes zu begehren
verursacht werde, weil er ohne solche erkandtnuß
deß rechten und bestendigen trostes nicht kan fehig
sein.
Wann er aber vermercket, daß der krancke mit
schmertzen deß gewissens geängstiget, soll er ihn
nicht ferner durch das gesetz schrecken, sondern
durch die verheissung des evangelii dem betrübten
gewissen aufhelfen.
[Gnad Gottes von vergebung der sünden.] Und
derhalben fürs ander ihme die heilsame gnad Gottes
in Jesu Christo verkündigen, die allen bußfertigen
und glaubigen sündern im evangelio verheissen und
versprochen ist. Johan. 3, vers. 16. Matth. 11,
vers. 28. Ezech. 33, V. 11. Rom. 8, V. 1. 31. 32. 33.
34. 38. 39 etc. 1.Tim. 1, V. 15. 1. Johan. 1, vers 7. 9.
Jesa. 53, vers 4. 5. etc.
Und solchen trost kan er ihm fein weisen auß der
ersten fragen deß catechismi87 und mit den daselbst
angezogenen oder andern sprüchen der heiligen
schrift wol einbilden, das nemblich der arme krancke
87 Frage 1 des Heidelberger Katechismus, vgl. oben
S. 342-343.

37 Sehling, Bd. XIV, Kurpfalz

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