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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 1. Teilband = Baden-Württemberg, 3): Schwäbisch Hall, Heilbronn, Konstanz, Isny und Gengenbach — Tübingen: Mohr Siebeck, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.30656#0362
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Konstanz

dar.112 Als Verfasser der Zuchtordnung gilt Ambrosius Blarer, der den Text unter Mitarbeit weiterer
Theologen ausformulierte.113
Die Zuchtordnung reglementiert vier Bereiche: die Sittenzucht, das Eherecht,114 die Zuständigkeit der
an der Zucht beteiligten kirchlichen Organe sowie die kirchlichen Zeremonien.115 Die einzelnen Maßnahmen
sollten von den Zuchtherren beaufsichtigt werden. Diese bildeten ein Viererkollegium.116 Es stellte eine rein
weltliche Behörde dar, war dem Rat unterstellt und führte mit ihm zusammen die Aufsicht über die Kon-
stanzer Kirche. Die Ordnung fasste die bis 1531 erlassenen Mandate zur Sittenzucht zusammen, nahm
weitere Erlasse befreundeter Städte - allen voran diejenigen von Zürich und Basel von 1529 und 1530117 -
auf und fügte neue Texte hinzu.118 So wurde etwa das Mandat zur Eheschließung Minderjähriger, das vor
dem 5. April 1531 verfügt worden war (Nr. 7), in die Zuchtordnung aufgenommen, die dort genannte Strafe
von einem Jahr Gefängnishaft im entsprechenden Passus der Zuchtordnung jedoch gelockert.119
Die Betonung der Sittenzucht in der Konstanzer Zuchtordnung, hinter der die Regelung kirchlicher
Zeremonien zurückfällt, dokumentiert den Anspruch, durch ein besonders züchtiges, ehrbares Leben „eine
Gott und den Mitmenschen dienende Gemeinde nach Art des Urchristentums zu bilden“.120 Die Zeremonien
von Lehre, Taufe und Anstellung der Geistlichen werden demnach nicht in ihrer Lehrdogmatik, sondern
unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur sittlichen Ordnung behandelt.121 Prediger und Rat vermieden
es, die reformatorische Lehre und Zeremonien in einer eigenen Kirchenordnung zu fixieren, da man „den
Gewissen in Glaubenssachen keine neuen Satzungen auferlegen wollte“;122 man behielt sich die Freiheit vor,
die Gottesdienstformen weiterzuentwickeln oder zu ergänzen, wie es der Konstanzer Rat 1529 in seinem
Schreiben an Ulm123 ausdrückte.
Um dieses Konstanzer Ideal der christlichen Gesellschaft zu verwirklichen, wurde die Stadt mit einem
dichten Netz von Kontrollorganen überzogen, dem keine Form abweichenden Verhaltens entgehen
sollte.124 Das wichtigste Instrument war die neu eingerichtete Institution der vier Zuchtherren, die unmit-
telbar nach Veröffentlichung der Zuchtordnung ihre Arbeit aufnahmen, wie umfangreich überlieferte Pro-
tokollbücher aus der Zeit zwischen 1532 und 1534 belegen.125Den Zuchtherren arbeiteten in rotierendem
System einzelne Bürger als angeber zu, die ihre Mitbürger jeweils für eine bestimmte Zeit zu beobachten und

verlesen vor allen zünfjten und uff 16. Aprilis, war der son-
tag quasimododeniti, ward sy nach imbis an stat der predig
vor allem volck verlesen, zitiert nach Hauss, Zuchtord-
nung, S. 28; vgl. Dobras, Sittenzucht, S. 80f. Zu Gregor
Mangolt siehe Ruppert, Mangolt, S. 57-69; Moeller,
Reformationsdrucker, S. 738-740.
112 Dobras, Konstanz, S. 75; ders., Ratsregiment, S. 178-
181; ders., Sittenzucht, S. 83; Rublack, Einführung,
S. 90; Hauss, Blarers Zuchtordnung, S. 118; ders.,
Zuchtordnung, S. 26f.; Köhler, Ehegericht II, S. 106.
Gegenüber den Memminger Artikeln ist die Zuständig-
keit der weltlichen Obrigkeit für die Durchführung der
Sittenzucht in der Zuchtordnung stärker betont, vgl.
Moeller, Zwick, S. 133; Vögeli, Schriften II/II,
S. 1302.
113 Köhler, Ehegericht II, S. 106; Hauss, Blarers Zucht-
ordnung, S. 117; Dobras, Sittenzucht, S. 80f.
114 Vgl. Dobras, Ratsregiment, S. 218-274.
115 Ebd., S. 75f., 91f.; ders., Sittenzucht, S. 83-89; Köhler,
Ehegericht II, S. 106-120.
116 Zwei aus dem kleinen Rat, einer aus dem großen und
einer aus der Gemeinde. Die Zuchtherren wurden jähr-
lich bestellt. Rublack, Einführung, S. 315 Anm. 132.

117 Moeller, Zwick, S. 132; Hauss, Zuchtordnung, S. 23-
25; ders., Blarers Zuchtordnung, S. 115; Dobras, Rats-
regiment, S. 176f.; Vögeli, Schriften II/II, S. 1304f.
118 Rublack, Einführung, S. 88f.; Hauss, Zuchtordnung,
S. 44.
119 Siehe unten, S. 383 und S. 395.
120 Hauss, Zuchtordnung, S. 30, vgl. ebd., S. 45; Dobras,
Konstanz, S. 94.
121 Rublack, Einführung, S. 91.
122 Dobras, Konstanz, S. 82; Bührer, Gottesdienstord-
nung, S. 112 und 118.
123 Siehe oben, S. 334, Anm. 44.
124 Dobras, Konstanz, S. 94.
125 StadtA Konstanz, G I, Fasz. 33. Ab 1547 wurden die
Zuchtherrenbücher regelmäßig geführt, StadtA Kon-
stanz, G I, Fasz. 35, Teil 4; vgl. die Tabellen zur Tätig-
keit der Konstanzer Zuchtherren zwischen 1532 und
1547 bei Dobras, Ratsregiment, nach S. 377; siehe auch
ders., Konstanz, S. 91; Köhler, Ehegericht II, S. 112.
Am 6. Mai 1531 wurde erstmals ein Ehebruch nach der
neuen Ordnung gestraft, Köhler, Ehegericht II, S. 111.
Die einzelnen Wirkungen sind ausführlich referiert bei
Dobras, Ratsregiment, S. 197-207.

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