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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0114
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Herrschaft Rappoltstein

II. Die Reformation in der Herrschaft Rappoltstein

Wie die benachbarte Herrschaft Reichenweiher war auch Rappoltstein stark vom Bauernkrieg betroffen.
Dabei fanden unter der einheimischen Bevölkerung die Ideen der Bauern vielfach Anklang. So öffneten die
Bewohner von Rappoltsweiler den Truppen der Bauern die Tore; die 1510 gegründete Bürgermiliz der Stadt
schloß sich den Bauern sogar an. Das Augustinereremitenkloster in Rappoltsweiler wurde geplündert und
die Mönche wurden vertrieben9. Ein ähnliches Schicksal erlitt die im Münster- bzw. Gregoriental gelegene
Zisterzienserabtei Pairis. Von Ulrich VI. von Rappoltstein, dem die Regierungsgeschäfte von seinem Vater
Wilhelm II. übertragen worden waren, da dieser als österreichischer Landvogt in Ensisheim residierte,
erreichten die Aufständischen eine Reihe von Zugeständnissen, darunter die Verwendung der deutschen
Sprache in der Messe, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe. Am 30. April 1525 und
am darauffolgenden Tag predigten Paul Phrygio (Seidensticker, auch Kostentzer) aus Schlettstadt10 und
sein Vikar in Rappoltsweiler. Nach der Niederlage der Bauern bei Scherweiler nahm Wilhelm II. die Zuge-
ständnisse aber umgehend wieder zurück. Am 10. Januar 1526 fand in Rappoltsweiler ein peinliches
Gerichtsverfahren statt, bei welchem mehrere Anführer verurteilt wurden. Die Gemeinden, die sich dem
Aufstand der Bauern angeschlossen hatten, wurden hart bestraft11.
Wilhelm II. von Rappoltstein hielt an der alten Kirche bis zu seinem Tod 1547 fest. Zu einer energischen
Förderin der Reformation entwickelte sich hingegen die Gattin des 1531 verstorbenen Ulrich VI., Anna
Alexandrina, aus dem Haus Fürstenberg. Sie ließ ihre Kinder Johanna und Egenolph evangelisch erziehen;
zu diesem Zweck wurde, wie aus einem Brief von Kaspar Hedio an Matthias Erb vom 7. Juli 1539 zu
entnehmen ist12, ein evangelischer Theologe an den Hof geholt. Im AD Haut-Rhin ist unter der Signatur
E 648 ein Bündel von Heften erhalten, in denen für alle Tage der Woche Gebete Anna Alexandrinas für
ihren Sohn eingetragen sind13. Anna Alexandrina korrespondierte mit Heinrich Bullinger und Rudolf Gwal-
ther in Zürich; darüber hinaus stand sie in engem Kontakt zu Matthias Erb im benachbarten Reichen-
weier14. Es waren also überwiegend reformierte Theologen, die Anna Alexandrina prägten. Ihre Auffassun-
gen sind in einer Denkschrift („Mütterliche Vermahnung“) niedergelegt, die sie im März 1562 ihrem Sohn
Egenolph übergab und die sich heute in der BM Colmar befindet15. Als in der Herrschaft Reichenweier im
März 1560 eine lutherische Kirchenordnung Einzug hielt, fanden Matthias Erb und sein Hunaweierer
Amtskollege Nikolaus König, die wegen ihres Widerstandes gegen die Ordnung aus dem Dienst entlassen
worden waren16, nicht zuletzt durch die Fürsprache von Anna Alexandrina auf dem Schloß in Rappolts-
weiler Aufnahme17.
Ein Zeugnis für die evangelische Erziehung Egenolphs IV.18 bildet die Bibliothek auf dem Schloß in
Rappoltsweiler, die Werke Luthers, Melanchthons, Zwinglis und Bullingers enthielt19. Nach dem Übergang

9 Zu diesem Kloster s. Clauss, Historisch-topographi-
sches Wörterbuch, S. 871f.
10 Zu ihm s. BBKL 7, Sp. 559-561.
11 Vgl. die Darstellungen der Zeit des Bauernkriegs in
Rathgeber, Herrschaft Rappoltstein, S. 70ff., Süss,
Geschichte, S. 6-11 und Adam, Kirchengeschichte
Elsaß, S. 349f. sowie Lina Baillet, La Guerre des pay-
sans. Un cas de conscience dans la famille de Ribeau-
pierre, in: BPH 1 (1967), S. 357-437.
12 Thesaurus Baumianus XII, 61.
13 Vgl. Rocholl, Anna Alexandria [sic], S. 16.
14 Siehe die Bestände AD Haut-Rhin E 578 und E 727, in
denen sich zahlreiche Briefe befinden. Vgl. auch Ro-
choll, Anna Alexandria, S. 26-34 sowie den Anhang zu
Süss, Geschichte, S. 70-72, wo einige Schreiben Erbs
abgedruckt sind.

15 Mütterliche Vermahnung der Gräfin Anna Alexandrina
von Rappoltstein, geborner Gräfin von Fürstenberg, an
ihren Sohn Egenolf (1562), hrsg. von Xavier Moss-
mann, in: |Neue Alsatia 8 (1862/1867), S. 51-94.
16 Vgl. Sehling, EKO XVI, S. 66f.
17 Matthias Erb widmete Anna Alexandrina das Werk
„Christenliche sprüche aus heiligen geschriften, durch
die väter ausgelegt, von beiden unterschiedlichen natu-
ren unsers herrn Jesu Christi, welche Gelasius bischof zu
Rom zusammengetragen“; Nikolaus König eignete ihr
die Schrift „Von dem waren lebendigen christlichen glaw-
ben“ zu.
18 Nach anderen Zählungen Egenolph III.
19 Vgl. Jordan, Noblesse, S. 194-200; Charles Bar-
toldi, Catalogue de la Bibliothèque des Seigneurs de
Ribeaupierre au seizième siècle, in: Curiosités d’Alsace 1

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