Einleitung
I. Abtei und Stadt Weißenburg
A. Geschichte und Verfassung
Die Abtei Weißenburg (Wissembourg) findet erstmals im Jahr 661 urkundliche Erwähnung. Der Zeitpunkt
der Gründung selbst läßt sich jedoch nicht genau bestimmen. Die Überlieferung nennt zum einen König
Dagobert I. (623-639), zum anderen den Speyerer Bischof Dragobod (ab ca. 660) als Stifter1. Patrone der
Kirche und des Klosters waren die Apostel Petrus und Paulus2. Die Mönchsgemeinschaft lebte zunächst
nach einer benediktinisch-columbanischen Mischregel; sie kam dann unter den Einfluß Pirmins, bevor sie
sich der Reform Benedikts von Aniane (s. die Synode von Aix-la-Chapelle 816) anschloß und die Benedikts-
regel übernahm3. In die Karolingerzeit fällt die Phase der größten kulturellen Blüte des Klosters4. Die Äbte
Erembert, Bernhari und Folkwig (764?-833) waren gleichzeitig Bischöfe von Speyer; im 9. und 10. Jh.
gelangten zudem mehrere Äbte auf den Stuhl des Mainzer Erzbischofs5.
Pippin der Jüngere verlieh der Abtei um 760 Immunität über das Klostergebiet, dessen Grenzen Otto II.
dann im Jahr 967 genau festlegte. Dieses Gebiet (Mundat) umfaßte in nord-südlicher Richtung etwa 20
Kilometer, in west-östlicher Richtung etwa 16 Kilometer6 . 882 erlangte der Konvent das Recht der freien
Abtswahl7. 973 wird Weißenburg als Königs- und Reichskloster bezeichnet und nimmt den gleichen Rang
ein wie die Abteien Fulda, Reichenau und Prüm8. Seit dem 13. Jh. besaß der Abt reichsfürstliche Stel-
lung9. Im 14. und 15. Jh. geriet das Kloster aber immer stärker unter den Einfluß der Stadt, des umliegen-
den Adels und der Kurfürsten von der Pfalz, die nach 1400 auch die Vogtei innehatten10. Im September 1482
wurde die Abtei in die Bursfelder Kongregation des Benediktinerordens aufgenommen11; die eingeleiteten
Reformen blieben jedoch ohne Wirkung. Zählte der Konvent 1469 noch 24 Mönche, meist Söhne des pfäl-
zischen, elsässischen und lothringischen Adels, war deren Zahl Anfang des 16. Jh. auf vier gesunken. Im
Jahr 1524 war schließlich nur noch der Abt übrig geblieben12. Dieser ersuchte zusammen mit dem Bischof
von Speyer und dem Kurfürsten von der Pfalz den Papst um die Umwandlung des Klosters in ein Kolle-
giatstift. Mit seiner Bulle vom 25. April 1524 gestattete Papst Clemens VII. die Umwandlung in ein
Säkular- und Kollegiatstift (secularis et collegiata ecclesia); gleichzeitig inkorporierte er der Neugründung
das Stift St. Stephan vor den Toren der Stadt13. Das neue Kapitel umfaßte Propst, Dekan, Kustos und
zwölf Kanoniker. Im Februar 1546 wurde das Stift dem Bistum Speyer inkorporiert14; der Bischof von
Speyer war damit zugleich auch Propst des Stiftes Weißenburg.
1 Vgl. die Diskussion „Fondation épiscopale, aristocrati-
que ou royale?“ in Bornert, Monastères II,2,
S.387-390.
2 Ebd., S. 386f.
3 Ebd., S. 398-402.
4 Ebd., S. 402-406.
5 Vgl. Lex. d. MA. 8, Sp. 2138.
6 Vgl. Eyer, Wissembourg, S. 12.
7 MGH DD Karl III., Nr. 63, S. 105f.
8 MGH DD Otto II., Nr. 43, S. 52f.
9 Vgl. Lex. d. MA. 8, Sp. 2138.
10 Da die Pfälzer Territorialnachbarn waren, versuchten sie
die Abtei und die Stadt unter ihre Botmäßigkeit zu brin-
gen. Dies führte in der zweiten Hälfte des 15. Jh. mehr-
fach zu kriegerischen Auseinandersetzungen (s. den Wei-
ßenburger Krieg). Vgl. Eyer, Wissembourg, S. 14.
11 Aus politischen Überlegungen wollte bereits Kurfürst
Friedrich I., der Siegreiche, die Bursfelder Reform im
Kloster Weißenburg einführen, scheiterte aber am
Widerstand von Konvent und Stadt. Erst unter Abt
Heinrich von Homburg kam es dann zum Anschluß des
Klosters an die Reformkongregation.
12 Vgl. Bornert, Monastères II,2, S. 424.
13 Auszüge aus der Bulle Clemens VII. in Rheinwald,
Abbaye, Nr. 30, S. 475-478.
14 AD Bas-Rhin G 5792: Factum unionis praepositurae
Weissenburgensis ad episcopatum Spirensem subiective
et accessorie peractae urbi et orbi stricte expositum pro
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I. Abtei und Stadt Weißenburg
A. Geschichte und Verfassung
Die Abtei Weißenburg (Wissembourg) findet erstmals im Jahr 661 urkundliche Erwähnung. Der Zeitpunkt
der Gründung selbst läßt sich jedoch nicht genau bestimmen. Die Überlieferung nennt zum einen König
Dagobert I. (623-639), zum anderen den Speyerer Bischof Dragobod (ab ca. 660) als Stifter1. Patrone der
Kirche und des Klosters waren die Apostel Petrus und Paulus2. Die Mönchsgemeinschaft lebte zunächst
nach einer benediktinisch-columbanischen Mischregel; sie kam dann unter den Einfluß Pirmins, bevor sie
sich der Reform Benedikts von Aniane (s. die Synode von Aix-la-Chapelle 816) anschloß und die Benedikts-
regel übernahm3. In die Karolingerzeit fällt die Phase der größten kulturellen Blüte des Klosters4. Die Äbte
Erembert, Bernhari und Folkwig (764?-833) waren gleichzeitig Bischöfe von Speyer; im 9. und 10. Jh.
gelangten zudem mehrere Äbte auf den Stuhl des Mainzer Erzbischofs5.
Pippin der Jüngere verlieh der Abtei um 760 Immunität über das Klostergebiet, dessen Grenzen Otto II.
dann im Jahr 967 genau festlegte. Dieses Gebiet (Mundat) umfaßte in nord-südlicher Richtung etwa 20
Kilometer, in west-östlicher Richtung etwa 16 Kilometer6 . 882 erlangte der Konvent das Recht der freien
Abtswahl7. 973 wird Weißenburg als Königs- und Reichskloster bezeichnet und nimmt den gleichen Rang
ein wie die Abteien Fulda, Reichenau und Prüm8. Seit dem 13. Jh. besaß der Abt reichsfürstliche Stel-
lung9. Im 14. und 15. Jh. geriet das Kloster aber immer stärker unter den Einfluß der Stadt, des umliegen-
den Adels und der Kurfürsten von der Pfalz, die nach 1400 auch die Vogtei innehatten10. Im September 1482
wurde die Abtei in die Bursfelder Kongregation des Benediktinerordens aufgenommen11; die eingeleiteten
Reformen blieben jedoch ohne Wirkung. Zählte der Konvent 1469 noch 24 Mönche, meist Söhne des pfäl-
zischen, elsässischen und lothringischen Adels, war deren Zahl Anfang des 16. Jh. auf vier gesunken. Im
Jahr 1524 war schließlich nur noch der Abt übrig geblieben12. Dieser ersuchte zusammen mit dem Bischof
von Speyer und dem Kurfürsten von der Pfalz den Papst um die Umwandlung des Klosters in ein Kolle-
giatstift. Mit seiner Bulle vom 25. April 1524 gestattete Papst Clemens VII. die Umwandlung in ein
Säkular- und Kollegiatstift (secularis et collegiata ecclesia); gleichzeitig inkorporierte er der Neugründung
das Stift St. Stephan vor den Toren der Stadt13. Das neue Kapitel umfaßte Propst, Dekan, Kustos und
zwölf Kanoniker. Im Februar 1546 wurde das Stift dem Bistum Speyer inkorporiert14; der Bischof von
Speyer war damit zugleich auch Propst des Stiftes Weißenburg.
1 Vgl. die Diskussion „Fondation épiscopale, aristocrati-
que ou royale?“ in Bornert, Monastères II,2,
S.387-390.
2 Ebd., S. 386f.
3 Ebd., S. 398-402.
4 Ebd., S. 402-406.
5 Vgl. Lex. d. MA. 8, Sp. 2138.
6 Vgl. Eyer, Wissembourg, S. 12.
7 MGH DD Karl III., Nr. 63, S. 105f.
8 MGH DD Otto II., Nr. 43, S. 52f.
9 Vgl. Lex. d. MA. 8, Sp. 2138.
10 Da die Pfälzer Territorialnachbarn waren, versuchten sie
die Abtei und die Stadt unter ihre Botmäßigkeit zu brin-
gen. Dies führte in der zweiten Hälfte des 15. Jh. mehr-
fach zu kriegerischen Auseinandersetzungen (s. den Wei-
ßenburger Krieg). Vgl. Eyer, Wissembourg, S. 14.
11 Aus politischen Überlegungen wollte bereits Kurfürst
Friedrich I., der Siegreiche, die Bursfelder Reform im
Kloster Weißenburg einführen, scheiterte aber am
Widerstand von Konvent und Stadt. Erst unter Abt
Heinrich von Homburg kam es dann zum Anschluß des
Klosters an die Reformkongregation.
12 Vgl. Bornert, Monastères II,2, S. 424.
13 Auszüge aus der Bulle Clemens VII. in Rheinwald,
Abbaye, Nr. 30, S. 475-478.
14 AD Bas-Rhin G 5792: Factum unionis praepositurae
Weissenburgensis ad episcopatum Spirensem subiective
et accessorie peractae urbi et orbi stricte expositum pro
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