Mülhausen
Von grundsätzlicher Art war hingegen das Ersuchen der Zunftmeister nach der Abhaltung der Gottes-
dienste in deutscher statt in lateinischer Sprache. Sie begründeten ihre Eingabe mit dem Erfordernis, daß
der „gemeine Mann“ die ihm zuteilgewordenen Verheißungen Christi verstehen müsse. Sowohl in der Bitt-
schrift als dann auch im mündlichen Vortrag vom 11. Januar 1524 erscheint die Forderung nach einer
konsequenten Verfolgung der Konkubinarier. Die Zunftmeister versprachen dem Rat für diese Aufgabe ihre
volle Unterstützung. Der Stellungnahme des Rates ist zu entnehmen, daß es bereits zu mehreren Anzeigen
konkubinarischer Verbindungen gekommen war. Ob es sich dabei in jedem Fall um Geistliche handelte, ist
jedoch eher fraglich.
4. Verordnung zu den Prozessionen und Feiertagen, [vor 28. April 1524] (Text S. 195)
Die Verordnung des Rates enthält zwei Teile: Der erste bezieht sich auf die Prozessionen, der zweite auf die
Feiertage und ihre Gestaltung. Die Vorlage für beide Teile bildete ein für den Rat erarbeitetes Gutachten
des Kaplans an St. Stephan Augustin Geschmus (Krämer)62. Geschmus’Gutachten63 war auch die Grund-
lage für die unter Nr. 5 edierten Anweisungen des Rats für den Schulmeister und die Kapläne vom 28. April
1524. Das Gutachten wurde am 21. und am 28. April im Rat besprochen64. Bei der ersten Sitzung dürfte
dabei über die Prozessionen und Feiertage verhandelt und im Anschluß daran die Verordnung konzipiert
worden sein, da die Festtage des Hl. Georg (23. April) und des Hl. Markus (25. April) unmittelbar bevor-
standen. In seiner Stellungnahme zu den Vorwürfen der altgläubigen Orte der Eidgenossenschaft, vom
christlichen Glauben und den bewährten Satzungen der Kirche abgewichen zu sein, führt der Magistrat die
Verordnung an, um zu zeigen, daß man nutzit christenlichs abgethan, sondern nur unchristenliche mißbrüche
gebessert habe (Nr. 7).
Von seiten der Reformatoren wurde gegen die Prozessionen häufig der Vorwurf der Werkgerechtigkeit
und des Götzendienstes erhoben65. Entsprechend fordert der Ratschlag von Geschmus auch einen Verzicht
auf alle Prozessionen und die Umgänge um die Kirche66. In der Verordnung des Rates selbst ist dann zwar
nicht die Rede von einer grundsätzlichen Abschaffung der Prozessionen, sondern lediglich von einer Besei-
tigung der Mißstände; die vorgeschlagene Gestaltung der Festtage der Hll. Georg und Markus sowie der
Kreuztage vor Christi Himmelfahrt mit einem Predigtgottesdienst bedeutete aber faktisch deren Auf-
gabe67.
Die reformatorische Kritik richtete sich auch auf die Feiertage, die im Laufe des Mittelalters eine rapide
Vermehrung erfahren hatten. Vor allem die zahlreichen Heiligenfeste standen im Fokus der Kritik, galt die
Verehrung der Heiligen doch als Abgötterei. Beklagt wurden eine weitgehende Verweltlichung der Feste und
die sittlichen Entgleisungen der Gläubigen bei diesen Festen. Aber auch wirtschaftliche Argumente, wie die
durch die Feiertagsruhe erzwungene Erwerbsminderung, wurden ins Feld geführt. In den protestantischen
Gebieten kam es entsprechend zu einer mehr oder minder starken Reduzierung der Feiertage68. In Straß-
burg wurden auf Martin Bucers Drängen hin sogar alle Feiertage mit Ausnahme des Sonntags abge-
schafft69. Soweit wollte Geschmus nicht gehen; er schlug vor, neben den Sonntagen die vier Hochfeste
(Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten), die Aposteltage sowie die Montage nach Ostern und
Pfingsten beizubehalten. Die anderen Feste sollten lediglich durch einen Gottesdienst am Vormittag began-
Messen und Vigilien sowie an den kanonischen Stunden
nicht mehr teil und erhielt deshalb auch keine Präsenz-
gelder.
62 Zu ihm vgl. Anm. 37.
63 Der Ratschlag ist überliefert in AM Mulhouse Nr. 3828.
Eine Paraphrase des Inhalts findet sich bei Mieg,
Réforme, S. 23-25.
64 Vgl. Mieg, Réforme, S. 25.
65 Vgl. TRE 27, S. 595f.
66 Vgl. Mieg, Réforme, S. 24.
67 Der Tag des Evangelisten Markus und die beiden Kreuz-
tage werden auch aus der Liste der gebotenen Feiertage
gestrichen (s. den zweiten Abschnitt des Textes).
68 Vgl. TRE 11, S. 124-126.
69 Vgl. Sehling, EKO XX,1, S. 80.
162
Von grundsätzlicher Art war hingegen das Ersuchen der Zunftmeister nach der Abhaltung der Gottes-
dienste in deutscher statt in lateinischer Sprache. Sie begründeten ihre Eingabe mit dem Erfordernis, daß
der „gemeine Mann“ die ihm zuteilgewordenen Verheißungen Christi verstehen müsse. Sowohl in der Bitt-
schrift als dann auch im mündlichen Vortrag vom 11. Januar 1524 erscheint die Forderung nach einer
konsequenten Verfolgung der Konkubinarier. Die Zunftmeister versprachen dem Rat für diese Aufgabe ihre
volle Unterstützung. Der Stellungnahme des Rates ist zu entnehmen, daß es bereits zu mehreren Anzeigen
konkubinarischer Verbindungen gekommen war. Ob es sich dabei in jedem Fall um Geistliche handelte, ist
jedoch eher fraglich.
4. Verordnung zu den Prozessionen und Feiertagen, [vor 28. April 1524] (Text S. 195)
Die Verordnung des Rates enthält zwei Teile: Der erste bezieht sich auf die Prozessionen, der zweite auf die
Feiertage und ihre Gestaltung. Die Vorlage für beide Teile bildete ein für den Rat erarbeitetes Gutachten
des Kaplans an St. Stephan Augustin Geschmus (Krämer)62. Geschmus’Gutachten63 war auch die Grund-
lage für die unter Nr. 5 edierten Anweisungen des Rats für den Schulmeister und die Kapläne vom 28. April
1524. Das Gutachten wurde am 21. und am 28. April im Rat besprochen64. Bei der ersten Sitzung dürfte
dabei über die Prozessionen und Feiertage verhandelt und im Anschluß daran die Verordnung konzipiert
worden sein, da die Festtage des Hl. Georg (23. April) und des Hl. Markus (25. April) unmittelbar bevor-
standen. In seiner Stellungnahme zu den Vorwürfen der altgläubigen Orte der Eidgenossenschaft, vom
christlichen Glauben und den bewährten Satzungen der Kirche abgewichen zu sein, führt der Magistrat die
Verordnung an, um zu zeigen, daß man nutzit christenlichs abgethan, sondern nur unchristenliche mißbrüche
gebessert habe (Nr. 7).
Von seiten der Reformatoren wurde gegen die Prozessionen häufig der Vorwurf der Werkgerechtigkeit
und des Götzendienstes erhoben65. Entsprechend fordert der Ratschlag von Geschmus auch einen Verzicht
auf alle Prozessionen und die Umgänge um die Kirche66. In der Verordnung des Rates selbst ist dann zwar
nicht die Rede von einer grundsätzlichen Abschaffung der Prozessionen, sondern lediglich von einer Besei-
tigung der Mißstände; die vorgeschlagene Gestaltung der Festtage der Hll. Georg und Markus sowie der
Kreuztage vor Christi Himmelfahrt mit einem Predigtgottesdienst bedeutete aber faktisch deren Auf-
gabe67.
Die reformatorische Kritik richtete sich auch auf die Feiertage, die im Laufe des Mittelalters eine rapide
Vermehrung erfahren hatten. Vor allem die zahlreichen Heiligenfeste standen im Fokus der Kritik, galt die
Verehrung der Heiligen doch als Abgötterei. Beklagt wurden eine weitgehende Verweltlichung der Feste und
die sittlichen Entgleisungen der Gläubigen bei diesen Festen. Aber auch wirtschaftliche Argumente, wie die
durch die Feiertagsruhe erzwungene Erwerbsminderung, wurden ins Feld geführt. In den protestantischen
Gebieten kam es entsprechend zu einer mehr oder minder starken Reduzierung der Feiertage68. In Straß-
burg wurden auf Martin Bucers Drängen hin sogar alle Feiertage mit Ausnahme des Sonntags abge-
schafft69. Soweit wollte Geschmus nicht gehen; er schlug vor, neben den Sonntagen die vier Hochfeste
(Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten), die Aposteltage sowie die Montage nach Ostern und
Pfingsten beizubehalten. Die anderen Feste sollten lediglich durch einen Gottesdienst am Vormittag began-
Messen und Vigilien sowie an den kanonischen Stunden
nicht mehr teil und erhielt deshalb auch keine Präsenz-
gelder.
62 Zu ihm vgl. Anm. 37.
63 Der Ratschlag ist überliefert in AM Mulhouse Nr. 3828.
Eine Paraphrase des Inhalts findet sich bei Mieg,
Réforme, S. 23-25.
64 Vgl. Mieg, Réforme, S. 25.
65 Vgl. TRE 27, S. 595f.
66 Vgl. Mieg, Réforme, S. 24.
67 Der Tag des Evangelisten Markus und die beiden Kreuz-
tage werden auch aus der Liste der gebotenen Feiertage
gestrichen (s. den zweiten Abschnitt des Textes).
68 Vgl. TRE 11, S. 124-126.
69 Vgl. Sehling, EKO XX,1, S. 80.
162