Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0185
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

verbot der Rat. Bei den Terminen für die Einführung der Paare in die Kirche - ob nun in der Frühmesse
oder während des Hochamtes - sah er keinen Entscheidungsbedarf. Das Problem der Scheidung und Wie-
derverheiratung wollte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht angehen (wither wil man sich des diser zit nit
beladen). Erst mit dem Aufbau des Ehegerichts und dem Erlaß der Eheordnung in den Jahren 1529 und
1530 schuf er hier eine verbindliche rechtliche Grundlage (Nr. 11).
Eine gewisse Brisanz beinhaltete die Frage des Zehnten. Gerade Nikolaus Pruckner setzte sich mehrfach
vehement für die Abschaffung des Zehnten und anderer Abgaben ein, da er sie für nicht schriftgemäß
hielt80. Seiner Argumentation schließt sich der Rat hier an, wenn er gegenüber dem Komtur der Deutsch-
ordenskommende betont, man könne niemanden zur Entrichtung des Zehnten zwingen, weil die Hl. Schrift
eine solche Zahlung nicht verlange. Das Problem der Besoldung der Geistlichen bei der Abschaffung des
Zehnten, das der Komtur in seiner Eingabe ansprach, blieb dabei vorerst ungelöst. Die Haltung des Mül-
hauser Rates in der Zehntenfrage führte rasch zu Konflikten mit den Nachbarn. Bereits am 20. November
1523 mahnte das Hochstift Basel die Stadt wegen des ausbleibenden Zehnten an81. Nicht einmal zwei
Monate später erhielt Mülhausen in der gleichen Sache ein warnendes Schreiben von Erzherzog Ferdi-
nand82.
Der 1524 von Andlau als Leutpriester berufene Simon Oeler stand der Reformation anscheinend auch
eher zurückhaltend gegenüber. Dies legt zumindest ein Brief von Wolfgang Capito nahe, den dieser am
6. April 1525 aus Straßburg an Nikolaus Pruckner sandte83. Oeler gab sein Amt jedoch bereits 1526 wieder
auf; 1527 wird er als der alt lüpriester bezeichnet. An seine Stelle rückte mit Johannes Glotter (aus Waldshut
bzw. Merdingen) ein ausgewiesener Anhänger der Reformation84. Er wurde gemeinsam vom Komtur der
Deutschordenskommende und vom Rat gewählt85.
In seiner Stellungnahme hatte der Mülhauser Magistrat dem Komtur geraten, die Pfarrei zu veräußern,
wenn der Deutsche Orden diese mit den vorhandenen Einkünften nicht mehr unterhalten könne. Dazu kam
es drei Jahre später: Am 13. Dezember 1527 verkaufte der Komtur das Patronatsrecht der Pfarrkirche
St. Stephan und damit auch das Recht zur Ernennung des Leutpriesters für 600 Gulden an die Stadt
Mülhausen86.

7. Rechtfertigung der reformatorischen Neuerungen durch den Magistrat, 1. Juli 1527 (Text S. 204)
Am 19. Januar 1515 war Mülhausen in den Bund der eidgenössischen Orte aufgenommen worden. Infolge
der Reformation kam es zu erheblichen Spannungen innerhalb des Bundes zwischen den altgläubigen Orten
und den Orten, die sich der Reformation anschlossen. Die Position Mülhausens als zugewandter Ort war
dabei eindeutig schwächer als die der souveränen Orte wie Zürich, Schaffhausen oder Basel. Auf der Tag-
satzung in Baden am 3. September 1524 wurde dem Mülhauser Gesandten von den Vertretern der anderen
Orte mitgeteilt, daß man nicht bereit sei, die religiösen Neuerungen zu dulden. Die Stadt wurde aufgefor-
dert, am christlichen Glauben und am alten Herkommen festzuhalten. Eine Liste mit mehreren Artikeln,
die dem Gesandten übergeben wurde, sollte Mülhausens Hinneigung zur „lutherischen Sekte“ belegen87.

80 Vgl. Moeder, Église, S. 113.
81 Das Schreiben findet sich unter AM Mulhouse Nr. 3628
82 AM Mulhouse Nr. 3642.
83 Abdruck des Briefes in Lutz, Réformateurs VI, S. 16f.;
englische Übersetzung in Capito, Correspondence 2,
Nr. 283, S. 199f. (hier ist der Brief im Unterschied zu
Lutz und Mieg in das Jahr 1526 datiert).
84 Zu ihm vgl. Michael Bärmann, Johannes Glotter.
Ein Geistlicher der Reformationszeit im Umfeld des
Humanismus, in: Alemannisches Jahrbuch 2005/2006,
S. 317-362. Glotter hatte in Basel studiert und unter-

hielt Kontakte zu Zwingli und zu Oswald Myconius.
Zusammen mit Geschmus nahm er 1526 als Vertreter
Mülhausens an der Badener Disputation teil (s. Mu-
ralt, Badener Disputation, S. 119).
85 Vgl. den Brief der Stadt an Georg von Andlau in Mieg,
Réforme, S. 57.
86 AM Mulhouse Nr. 3822 und 3823. Abdruck in Gide,
Église, S. 77-80.
87 Zusammenfassung des Entscheids in Mossmann, Car-
tulaire 5, Nr. 2144, S. 92.

165
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften