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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0200
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Mülhausen

und Predigt an der Spitze, so rückt in Mülhausen der Gehorsam gegenüber der Stadt und ihrer Führung in
den Vordergrund. Besonders hervorgehoben ist beim Mülhauser Eid die Wächterfunktion der Prädikanten:
Bemerken sie Abweichungen in der Lehre oder sittliche Vergehen der Gläubigen, sollen sie diese auf den vier
Mal im Jahr geplanten Synoden zur Sprache bringen, die Abweichenden vorladen und ermahnen und,
sofern keine Besserung eintritt, dem Rat anzeigen. Selbst die Tätigkeit der Prediger als Mitglieder des
Ehegerichts und ihre hieraus resultierenden Pflichten sind in Mülhausen in den Eid einbezogen.
Zwischen dem im „Ordnung- und eidtbuch“ von 1551 und dem im „Renoviert Articul-büech“ von 1599
gemeinsam überlieferten Text gibt es nur wenige Abweichungen. Die vielleicht bedeutendste inhaltliche
Änderung gegenüber 1551 ist die Verpflichtung des Schulmeisters und seines Vertreters zur Teilnahme an
den Synoden. Während 1551 am Ende der beiden Eide bei den „bürgerlichen Pflichten“182 der Prädikanten
und der Lehrer auf das „Artickell buch des gemeinen burger eidts“ verwiesen wird, sind 1599 die Pflichten
nun en détail aufgelistet und in den Eid einbezogen. Die überwiegende Zahl der Regeln ist den Eiden der
Prädikanten und des Schulmeisters und seines Helfers dabei gemeinsam. Nur bei letzteren finden sich
hingegen Vorschriften für das Sturmläuten und für das Bewachen der Mauern und der Tore. Von diesen
Aufgaben scheinen die Geistlichen also befreit gewesen zu sein183.
19. Eheordnung, 1555 (Text S. 253)
Siehe hierzu die Erläuterungen unter Nr. 11.
20. Anweisung an die Prädikanten, 24. Juni 1557 (Text S. 260)
Im Jahr 1552 verfaßte der erste Pfarrer der Stadt Otto Vinerius Binder eine „Supplication unnd peinliche
ermanung ann ein lieb kirch Mülhusen [...], wie [sie] sich fürthin im hanndell der userlichen kirchen ord-
nung, kirchen brüch und ceremonien haltenn soll“. Darin führt er eine Reihe von Mißständen auf und
beklagt die Aufgabe bewährter gottesdienstlicher Gebräuche in Mülhausen. Hierzu zählt Binder den Weg-
fall der Verlesung der Zehn Gebote, des Vater unser und des Glaubensbekenntnisses im Gottesdienst. Nach-
lässigkeiten erkennt Binder auch bei der Abhaltung des kirchlichen Unterrichts; deshalb fordert er den
„Kinderbericht“ mindestens viermal im Jahr für die Jungen und viermal für die Mädchen durchzuführen.
Mit Schrecken sieht er das Eindringen von Orgel und Kirchenmusik in den Gottesdienst. Kritik übt er aber
auch am Verhalten der Mitbrüder im Gottesdienst: Die Predigt werde von ihnen häufig nicht zur Verkün-
digung des Wortes Gottes, sondern zum Schimpfen und zur Verunglimpfung anderer benutzt. Nachdrück-
lich warnt er die Kollegen, ohne Wissen und Zustimmung des Rates Änderungen bei den kirchlichen Zere-
monien vorzunehmen184.
Binder starb 1555, nach mehr als einem Vierteljahrhundert im Dienste der Mülhauser Kirche185. Ihm
folgte Konrad Finck (Vinck) im Amt des ersten Pfarrers. Finck war bis 1548 in Esslingen tätig gewesen,
mußte von dort aber wegen des Interims fliehen. Über Straßburg kam er 1551 nach Mülhausen. Im Auftrag
des Rates entwarf er eine Schulordnung. In der Folge scheint sich das Verhältnis zur städtischen Führung
aber deutlich verschlechtert zu haben. Unter Fincks Führung kam es nach 1555 zu einem heftigen Streit
zwischen Teilen der Mülhauser Geistlichkeit und dem Rat. Eine Ursache für den Konflikt war das Abwei-

182 Es geht dabei um solche Themen wie etwa das Mahlen
von Korn, den Salzkauf, den Holzeinschlag in bestimm-
ten Forsten oder die Anzeige der Unterschlagung von
Zoll und Gewerf.
183 Zu den Wachdiensten und den Aufgaben bei der Vertei-
digung der Stadt vgl. Moeder, Institutions, S. 128-132.
184 Die „Supplication unnd peinliche ermanung“ findet sich

in dem Band AM Mulhouse Nr. 4502. Außen auf dem
Band steht der Eintrag „Klage über die zerstörung der
kirchen ordnung zu Mülhusen“. Zu Binders Schrift vgl.
auch Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 564.
185 Zu Otto Vinerius Binder s. das Biogramm unter Nr. 9,
Anm. 44.

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