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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Dörner, Gerald [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0201
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Einleitung

chen der Pfarrer von den Gewohnheiten der Basler Kirche, an denen sich Mülhausen bis dahin orientiert
hatte. Ob dieses Abweichen mit der unter dem Antistes Simon Sulzer eingeschlagenen neuen lutherischen
Ausrichtung der Basler Kirche zusammenhängt186, läßt sich aus den wenigen Dokumenten nicht entneh-
men.
Am 2. August 1556 fand eine Sitzung des Mülhauser Magistrats statt. Zu dieser wurden die Prädikanten
einbestellt (beschickt). In der Sitzung legte man ihnen eine Liste mit sieben Forderungen vor187. Dabei
handelt es sich um die Punkte, die dann auch in der nicht ganz ein Jahr später, am 24. Juni 1557, vom
Stadtschreiber Ulrich Wieland aufgesetzten Anweisung enthalten sind. Die erste Forderung betraf die Ein-
haltung der Basler Kirchengebräuche. Zum zweiten drangen die Ratsherren auf die verläßliche Versehung
der Kranken und Sterbenden mit dem Sakrament. Einige Pfarrer hatten sich, reformierter Lehre eingedenk,
geweigert, säumigen Gottesdienstbesuchern auf dem Kranken- bzw. Sterbelager das Abendmahl zu spen-
den. Mit der Forderung nach Verlesung der Zehn Gebote, des Vater unser und des Apostolicum im Gottes-
dienst griff der Magistrat einen der Verschläge Binders wieder auf. Der vierte Punkt berührte die Abhal-
tung regelmäßiger Versammlungen der Geistlichen (alle sechs Wochen) und das Stillschweigen über die bei
diesen Treffen angesprochenen Klagen und Beschwerden. Gerade an dieser Stelle scheint es erhebliche
Versäumnisse gegeben zu haben. Von den im Prädikanteneid von 1551 erwähnten Synoden ist hier nicht
mehr die Rede. Ein weiterer Punkt betraf die „Leichenpredigten“, das übermäßige Loben der Verstorbenen
oder deren Herabsetzung in Gegenwart der Hinterbliebenen. Gefordert wurde auch eine gewissenhaftere
Aufsicht der Geistlichen über die Schulen. Gerade Konrad Finck hatte in seiner Schulordnung die Bedeu-
tung der Schulen für die Kirche betont188. Ein besonderes Ärgernis waren für die Ratsherren aber die
Predigten. Kritisiert wurde vor allem, wie schon bei Binder, die Austragung von Streitigkeiten auf der
Kanzel: Viele Dinge würden nicht aus christlichem Eifer, sondern aus Eigensinn und Zorn auf die Kanzel
gebracht.
In einer Stellungnahme zu der Anweisung des Magistrats vom 24. Juni 1557 erklärten die Pfarrer
Heinrich Eberlin, Isaak Jaeger, Bruno Westermann und Martin Wetzler189 ihr Einverständnis mit den
meisten Punkten. Gegen den Vorwurf des Scheltens auf der Kanzel wehrten sie sich jedoch vehement. Bei
der Versehung der Kranken beharrten sie darauf, daß Personen, die während ihrer Gesundheit nicht am
Gottesdienst und am Abendmahl teilgenommen hatten, auch in ihrer Krankheit das Sakrament nicht erhal-
ten sollten. Der umstrittenste Punkt aber war die Bindung an die Basler Gebräuche. Die vier Geistlichen
argumentierten damit, daß jede Kirche ihre eigenen Gewohnheiten habe. Die Einheit mit der Basler Kirche
sahen sie davon jedoch nicht berührt190.
Der größte Widerstand kam von der Seite des ersten Pfarrers Konrad Finck. Er bestritt der städtischen
Führung überhaupt das Recht, ohne Wissen und Zustimmung der Pfarrerschaft kirchliche Regelungen zu
treffen. Auf der Kanzel machte er seinem Unmut über die Anmaßung des Magistrats Luft. Dies führte in
der Folge zu seiner Entlassung aus dem Amt191. 1562 scheint er kurze Zeit in Markirch für den erkrankten
Pfarrer Peter Hoger als Seelsorger der lutherischen Mattenkirche tätig gewesen zu sein192.

186 Zu Simon Sulzer und der neuen Ausrichtung der Basler
Kirche vgl. Amy Nelson Burnett, Bucers letzter
Jünger. Simon Sulzer und Basels konfessionelle Identität
zwischen 1550 und 1570, in: BZGAK 107 (2007),
S.137-172.
187 AM Mulhouse II A 2 (Ratsprotokolle 1555-1563), Bl.
84r, abgedruckt unter Nr. 20, Anm. 1.

188 AM Mulhouse Nr. 4481 (Schreiben an den Rat): die
schul aber ein theil der kirchen ist.
189 Zu ihnen vgl. Bopp, Geistliche, Nr. 1078, 2509, 5599 und
5619 sowie Meininger, Pasteurs, S. 74-76.
190 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 565.
191 Ebd., S. 565f.
192 Vgl. den Abschnitt über Rappoltstein S. 104.

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