Einleitung
Thomas Wiel starb 1563 in Münster. Da der Abtei die Kollatur der Pfarrkirche St. Leodegar zustand,
die Stelle des Abtes aber seit 1560 unbesetzt war, wandten sich die Ratsherren an den Hagenauer Unter-
landvogt in seiner Funktion als Verweser der Abtei und baten um die Anstellung eines neuen, der Augs-
burger Konfession zugehörigen Pfarrers. Bereits beim ersten Besuch des neuen Unterlandvogts Nikolaus
Bollweiler in Münster im Oktober 1561 kam es jedoch zum heftigen Streit mit dem Rat39. Entsprechend
dem von Ferdinand I. für die Mitglieder der Dekapolis erlassenen Verbot evangelischer Gottesdienste,
lehnte der Unterlandvogt die Anstellung eines evangelischen Pfarrers ab und sandte stattdessen einen
katholischen Priester nach Münster. Die Bürger versperrten diesem jedoch den Zugang zur Kirche. Hilfe-
suchend wandte sich Münster an die protestantischen Fürsten der Kurpfalz, von Pfalz-Zweibrücken und
Württemberg sowie an die Stadt Straßburg40. Auf Anraten Straßburgs ließ die Gemeinde von einem Notar
ein Instrument über die Weigerung des Landvogts, die Stelle mit einem evangelischen Geistlichen zu ver-
sehen, aufsetzen und beschloß, vorläufig selbst einen Pfarrer anzustellen und zu besolden. Nach öffentlichen
Drohungen Bollweilers gegen Münster klagte der Rat schließlich vor dem Reichskammergericht in Speyer.
In seinem Urteil wies das Gericht Bollweiler an, nichts gegen den Religionsfrieden zu unternehmen und
Münster in seinem Glauben unvergewaltigt zu lassen41.
Nicht nur in diesem Fall bildete die Reichsstadt Straßburg einen wichtigen Rückhalt für die Refor-
mation im Münstertal. Immer wieder suchte Münster die Unterstützung des Straßburger Magistrats und
der für die Stadt tätigen Notare, vor allem die Dr. Ludwig Gremps von Freudenstein42. Auf ihre Bitte hin
entsandte Straßburg im Herbst 1563 den Schiltigheimer Pfarrer Hieronymus Beyer zur Aushilfe nach
Münster. Beyer mußte jedoch bereits Anfang des folgenden Jahres nach Straßburg zurückkehren, da seine
Gemeinde ihren Seelsorger benötigte43. Im Februar 1564 reiste deshalb eine Delegation aus Münster nach
Straßburg, um dort um einen neuen Pfarrer zu bitten44. Auf den Vorschlag des Präsidenten des Straßburger
Kirchenkonvents Johannes Marbach hin fiel die Wahl auf den aus der Markgrafschaft Baden stammenden
Paul Leckdeig. Dieser war Kollegiat des Straßburger Collegium Wilhelmitanum gewesen und hatte auch
einige Zeit im Haus Marbachs zugebracht45. Leckdeig blieb bis zu seinem Tod 1599 als Pfarrer in Münster.
Unter seiner Führung erlangte die evangelische Kirche im Münstertal ihre eigentliche Gestalt46. Auch
Leckdeigs Nachfolger David Funck, von 1599 bis 1610 Pfarrer, kam aus Straßburg nach Münster47. Das
gleiche gilt für den Mühlbacher Pfarrer Georg Carl, der 1574 auf den verstorbenen Georg Jung folgte.
Aber nicht nur die Pfarrer stammten aus Straßburg; auch die Stelle des Stadtschreibers48 war in den
entscheidenden Jahren der Reformation im Münstertal von Männern besetzt, die Straßburg eng verbunden
waren: Andreas Stadlein, der 1555 zum Stadtschreiber in Münster ernannt wurde, besaß das Straßburger
Bürgerrecht. Er war das bevorzugte Ziel der Attacken des Unterlandvogtes Nikolaus Bollweiler. Als Stad-
lein 1570 aus dem Amt entlassen wurde, folgte ihm Friedrich von Odratzheim aus Straßburg, der jedoch nur
kurze Zeit in Münster blieb. 1574 übernahm dann mit Jeremias Schütz ein langjähriger Gehilfe des Straß-
burger Notars Ludwig Gremp das Amt des Stadtschreibers. Schon vor seinem Amtsantritt hatte Schütz in
brieflichem Kontakt zum Münsterer Rat gestanden49. In der engen Verbindung zwischen den beiden Reichs-
39 Vgl. Matter, Communitas, S. 15.
40 Vgl. Wilsdorf, Ville de Munster, S. 13.
41 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 398; Matter,
Stadtschreiber, S. 62-64.
42 Zu Ludwig Gremp von Freudenstein (1509-1583) vgl.
das Biogramm in Sehling, EKO XX,1, S. 502, Anm. 7
sowie die Einleitung zu Hagenau, S. 412f. Gremp hatte
sich auch Verdienste um den Abschluß des Religionsfrie-
dens erworben.
43 Vgl. Bopp, Geistliche, Nr. 452 und ders., Protestanti-
sche Pfarrer I, S. 58f.
44 AMS 1 R 27, Bl. 59r-60r.
45 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 398f. Zu den
beiden Straßburger Kollegien, dem Collegium Wilhel-
mitanum und dem älteren Collegium Praedicatorum,
vgl. die Erläuterungen in Sehling, EKO XX,1, S. 59f.
46 Unter Leckdeig begann auch die Anlage von Kirchen-
büchern in Münster. Diese befinden sich heute im AD
Colmar.
47 Vgl. Bopp, Protestantische Pfarrer I, S. 67.
48 Vgl. oben S. 340.
49 Vgl. Matter, Stadtschreiber, S. 61-79.
343
Thomas Wiel starb 1563 in Münster. Da der Abtei die Kollatur der Pfarrkirche St. Leodegar zustand,
die Stelle des Abtes aber seit 1560 unbesetzt war, wandten sich die Ratsherren an den Hagenauer Unter-
landvogt in seiner Funktion als Verweser der Abtei und baten um die Anstellung eines neuen, der Augs-
burger Konfession zugehörigen Pfarrers. Bereits beim ersten Besuch des neuen Unterlandvogts Nikolaus
Bollweiler in Münster im Oktober 1561 kam es jedoch zum heftigen Streit mit dem Rat39. Entsprechend
dem von Ferdinand I. für die Mitglieder der Dekapolis erlassenen Verbot evangelischer Gottesdienste,
lehnte der Unterlandvogt die Anstellung eines evangelischen Pfarrers ab und sandte stattdessen einen
katholischen Priester nach Münster. Die Bürger versperrten diesem jedoch den Zugang zur Kirche. Hilfe-
suchend wandte sich Münster an die protestantischen Fürsten der Kurpfalz, von Pfalz-Zweibrücken und
Württemberg sowie an die Stadt Straßburg40. Auf Anraten Straßburgs ließ die Gemeinde von einem Notar
ein Instrument über die Weigerung des Landvogts, die Stelle mit einem evangelischen Geistlichen zu ver-
sehen, aufsetzen und beschloß, vorläufig selbst einen Pfarrer anzustellen und zu besolden. Nach öffentlichen
Drohungen Bollweilers gegen Münster klagte der Rat schließlich vor dem Reichskammergericht in Speyer.
In seinem Urteil wies das Gericht Bollweiler an, nichts gegen den Religionsfrieden zu unternehmen und
Münster in seinem Glauben unvergewaltigt zu lassen41.
Nicht nur in diesem Fall bildete die Reichsstadt Straßburg einen wichtigen Rückhalt für die Refor-
mation im Münstertal. Immer wieder suchte Münster die Unterstützung des Straßburger Magistrats und
der für die Stadt tätigen Notare, vor allem die Dr. Ludwig Gremps von Freudenstein42. Auf ihre Bitte hin
entsandte Straßburg im Herbst 1563 den Schiltigheimer Pfarrer Hieronymus Beyer zur Aushilfe nach
Münster. Beyer mußte jedoch bereits Anfang des folgenden Jahres nach Straßburg zurückkehren, da seine
Gemeinde ihren Seelsorger benötigte43. Im Februar 1564 reiste deshalb eine Delegation aus Münster nach
Straßburg, um dort um einen neuen Pfarrer zu bitten44. Auf den Vorschlag des Präsidenten des Straßburger
Kirchenkonvents Johannes Marbach hin fiel die Wahl auf den aus der Markgrafschaft Baden stammenden
Paul Leckdeig. Dieser war Kollegiat des Straßburger Collegium Wilhelmitanum gewesen und hatte auch
einige Zeit im Haus Marbachs zugebracht45. Leckdeig blieb bis zu seinem Tod 1599 als Pfarrer in Münster.
Unter seiner Führung erlangte die evangelische Kirche im Münstertal ihre eigentliche Gestalt46. Auch
Leckdeigs Nachfolger David Funck, von 1599 bis 1610 Pfarrer, kam aus Straßburg nach Münster47. Das
gleiche gilt für den Mühlbacher Pfarrer Georg Carl, der 1574 auf den verstorbenen Georg Jung folgte.
Aber nicht nur die Pfarrer stammten aus Straßburg; auch die Stelle des Stadtschreibers48 war in den
entscheidenden Jahren der Reformation im Münstertal von Männern besetzt, die Straßburg eng verbunden
waren: Andreas Stadlein, der 1555 zum Stadtschreiber in Münster ernannt wurde, besaß das Straßburger
Bürgerrecht. Er war das bevorzugte Ziel der Attacken des Unterlandvogtes Nikolaus Bollweiler. Als Stad-
lein 1570 aus dem Amt entlassen wurde, folgte ihm Friedrich von Odratzheim aus Straßburg, der jedoch nur
kurze Zeit in Münster blieb. 1574 übernahm dann mit Jeremias Schütz ein langjähriger Gehilfe des Straß-
burger Notars Ludwig Gremp das Amt des Stadtschreibers. Schon vor seinem Amtsantritt hatte Schütz in
brieflichem Kontakt zum Münsterer Rat gestanden49. In der engen Verbindung zwischen den beiden Reichs-
39 Vgl. Matter, Communitas, S. 15.
40 Vgl. Wilsdorf, Ville de Munster, S. 13.
41 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 398; Matter,
Stadtschreiber, S. 62-64.
42 Zu Ludwig Gremp von Freudenstein (1509-1583) vgl.
das Biogramm in Sehling, EKO XX,1, S. 502, Anm. 7
sowie die Einleitung zu Hagenau, S. 412f. Gremp hatte
sich auch Verdienste um den Abschluß des Religionsfrie-
dens erworben.
43 Vgl. Bopp, Geistliche, Nr. 452 und ders., Protestanti-
sche Pfarrer I, S. 58f.
44 AMS 1 R 27, Bl. 59r-60r.
45 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 398f. Zu den
beiden Straßburger Kollegien, dem Collegium Wilhel-
mitanum und dem älteren Collegium Praedicatorum,
vgl. die Erläuterungen in Sehling, EKO XX,1, S. 59f.
46 Unter Leckdeig begann auch die Anlage von Kirchen-
büchern in Münster. Diese befinden sich heute im AD
Colmar.
47 Vgl. Bopp, Protestantische Pfarrer I, S. 67.
48 Vgl. oben S. 340.
49 Vgl. Matter, Stadtschreiber, S. 61-79.
343