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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Dörner, Gerald [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0365
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Einleitung

war58. An zahlreichen Stellen greift sie auf die vorangegangenen Ordnungen zurück, ja zitiert sogar ganze
Passagen aus ihnen. Neu ist hingegen das konfessionelle Element. Neben den Abschriften des Kientzheimer
Vertrages im Archiv der Stadt Münster findet sich noch ein „Extract“ des Vertrages im Bestand 1 AST 98
des Straßburger Stadtarchivs. Der Auszug ist von der gleichen Hand geschrieben worden, von der auch die
Kopien der übrigen Münsterer Ordnungen in AMS 1 AST 98 stammen (s. Nr. 2, 4 und 5). Der „Extract“
enthält die Bestimmungen zur Besoldung der Pfarrer und Schulmeister in Münster und Mühlbach, zum
Patronatsrecht und zur Kollatur des Abtes, zur Lieferung des Zehnten und anderer Abgaben an das Kloster
sowie zur Aufhebung der geistlichen Prozesse.
Der Kientzheimer Vertrag regelte das Verhältnis zwischen Stadt und Tal einerseits und der Abtei ande-
rerseits bis zur Französischen Revolution. Er sicherte den Fortgang der Reformation in Münster, ließ dabei
aber die Rechte und Privilegien des Abtes weitgehend unangetastet59. Die Pfarrkirche St. Leodegar stand
fortan den Evangelischen zur Verfügung, während die Altgläubigen ihren Gottesdienst in der Klosterkirche
feierten60. Anerkannt wird im Vertrag die Forderung von Stadt und Tal nach einer Übernahme der Besol-
dung des Pfarrers und des Schulmeisters in Münster durch den Abt. Der Mühlbacher Pfarrer muß hingegen
aus den Einkünften der Kirche in Mühlbach61 unterhalten werden. Patronatsrecht und Kollatur bleiben
weiterhin beim Abt; d.h. jeder neue Prädikant muß ihm präsentiert und angezeigt werden. Der Rat zahlt
die bislang beschlagnahmten Zinse und Zehnten aus und sagt für die Zukunft seine Hilfe bei der Einziehung
derselben zu. Umgekehrt nimmt der Abt die Zahlungen an das Stadtalmosen und die Lieferungen von Brot
und Wein an die Aussätzigen wieder auf. Den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens entspre-
chend muß der Abt auf die Anrufung des geistlichen Gerichts verzichten. Die Einsetzung des neuen Rates
findet weiterhin in Gegenwart des Abtes statt. Wie bisher entsendet er auch drei seiner Amtsleute in den
Rat. Bei der Besetzung verschiedener städtischer Ämter (Schultheiß, Ungelter, Brot- und Fleischbe-
schauer) behält er ein Mitspracherecht. Dagegen steht der Stadtschreiber - von wenigen Ausnahmen abge-
sehen - allein der Stadt zur Verfügung. Eine Sonderrolle genießen weiterhin die Amtsleute des Klosters; sie
sind von Steuern und Diensten befreit (ausgenommen Beiträge für die Befestigung und die Verteidigung der
Stadt) und unterliegen auch nicht der städtischen Gerichtsbarkeit (ausgenommen in Malefizfällen). Die
gegenüber der Abtei zu leistenden Frondienste der Bewohner von Stadt und Tal bleiben bestehen.
Anfang des 17. Jh. versuchte Abt Johann-Heinrich Brimsy eine Aufhebung des Kientzheimer Vertrags
bei Kaiser Rudolf II. zu erwirken. Gegen dieses Ansinnen erhoben Stadt und Tal aber scharfen Protest. In
zwei umfangreichen, aus den Jahren 1604 und 1607 stammenden Gutachten bemühte sich der Stadtschrei-
ber Peter Schneider die 20 Punkte umfassende Eingabe des Abtes zu widerlegen. Die vom Kaiser auf
Drängen des Abtes ernannte Schiedskommission scheint nicht tätig geworden zu sein. Im April 1612 wies
Pfalzgraf Johann als Reichsverweser in einem Brief den Abt schließlich zur Einhaltung des Kientzheimer
Vertrags an62.

58 Vgl. dazu oben S. 340f.
59 Wilsdorf, Ville de Munster, S. 17 weist darauf hin,
daß mit dem Kientzheimer Vertrag erstmals in einer der
Städte der Dekapolis die Reformation offiziell Anerken-
nung fand.
60 Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes mußte die
evangelische Gemeinde 1686 den Chor von St. Leodegar
den Katholiken überlassen. Das Simultaneum dauerte
bis in die zweite Hälfte des 19. Jh.; dann wurde in den
Jahren 1867-1873 die heute noch bestehende evangeli-
sche Kirche in Münster errichtet. Vgl. Clauss, Histo-

risch-topographisches Wörterbuch, S. 724; Leser, Mün-
stertal, S. 63 u. 65.
61 1727 wurden Chor und Sakristei der Kirche in Mühlbach
den Katholiken zugesprochen. Die anläßlich der Teilung
der Kirche entworfene Gottesdienstordnung ist abge-
druckt in Scherlen, Muhlbach, S. 29f. (frz.) und 30f.
(dt.). Nach der Zerstörung der Simultankirche im Ersten
Weltkrieg wurden eine katholische und eine evangelische
Kirche in Mühlbach errichtet.
62 Vgl. Matter, Stadtschreiber, S. 82.

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