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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0429
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Einleitung

Berufung eines evangelischen Prädikanten, der ihnen in der Not beistehen könne, damit sie nicht weiterhin
gezwungen seien, Geistliche aus anderen Orten mühsam nach Hagenau zu holen. Am 17. Oktober 1564
unterrichtete der Zinsmeister der Reichslandvogtei Georg Streit den Unterlandvogt Nikolaus Bollweiler,
der Hagenau verlassen hatte, von der Absicht der städtischen Führung, den Evangelischen die Franziska-
nerkirche für ihre Gottesdienste zu iiberlassen und einen Prädikanten anzustellen. Der Zinsmeister schlug
Bollweiler vor, die Stadt vor den Kaiser laden zu lassen und den Franziskanerorden einzuschalten, damit
dem Rat die Verfiigungsgewalt über die Klosterkirche wieder entzogen würde65.
Auf Drängen Bollweilers wandte sich die österreichische Regierung in Ensisheim am 21. Oktober 1564 in
einem Schreiben an den Hagenauer Rat und forderte von ihm den Verzicht auf alle Neuerungen bis zur
Amtseinführung des Oberlandvogts66. Gleichzeitig ersuchte sie die Regierung in Innsbruck um Auskunft, ob
die Reichslandvogtei in irgendeiner Form rechtlich gegen Hagenau vorgehen könne. In ihrer Stellungnahme
vom 15. November 1564 betonten die Innsbrucker Räte jedoch, daß der Reichslandvogtei nur das Recht
des Schutzes und Schirmes zustünde und daher nur glimpflich mittel zur Einwirkung auf Hagenau blieben.
Als Reichsstadt könne Hagenau wie andere immediate Reichsstände die Reformation auf der Grundlage des
Augsburger Religionsfriedens einführen67. Die Regierung in Innsbruck lehnte auch ein persönliches Ein-
greifen des Kaisers ab und schlug stattdessen die Entsendung einer Kommission nach Hagenau vor. Dazu
kam es aber wegen der Pest vorerst nicht68.
Am 16. Dezember 1564 berichtete Erzherzog Ferdinand seinem Bruder Maximilian in einem Brief, daß
ihn die Regierung in Ensisheim und der Unterlandvogt über die Vorgänge in Hagenau ausführlich in Kennt-
nis gesetzt hätten. Er betonte, stets die glimpfen Mittel dem raucheren Weg vorzuziehen, drängte aber den
Bruder, bei den Städten der Landvogtei das Nötige zu veranlassen, damit sie ihm und seinen Räten den
schuldigen Gehorsam leisteten69. Am 15. Januar 1565 wandte sich der Erzherzog darüber hinaus an den
Provinzial der Franziskaner und bat ihn um die Entsendung von neuen Mönchen in das Hagenauer Kloster,
um auf diese Weise die Einsetzung eines evangelischen Pfarrers dort zu verhindern70.
Die Art und Weise, wie die Entscheidung zur Einführung des evangelischen Gottesdienstes in der Stadt
selbst zustandekam, ist in der Literatur umstritten, da die Ratsprotokolle für das Jahr 1565 fehlen. Ver-
schiedentlich wird der Vorwurf erhoben, die Entscheidung sei gegen den Willen der Mehrheit der Ratsher-
ren von einer Gruppe der potentiores durchgesetzt worden71. Diese Auffassung stützt sich auf ein Dokument
aus der Urkundensammlung (cartulaire) der Pfarrkirche St. Georg. Demnach hatten sich in der Versamm-
lung des Großen Rates am 16. Oktober bei der Frage der Anstellung eines Prädikanten und der Zulassung
des evangelischen Gottesdienstes von 47 anwesenden Ratsherren nur „ungefähr 20“ für einen solchen
Schritt ausgesprochen, von den übrigen ein theil ad Comitia [an den Reichstag] remittirt, die andern aber, als
mit einer weith aussehender sache, nichts zu thun haben wollen [...]. Da haben die potentiores und Geschlechter
sambt dem Stadtschreiber, so der Religion waren, das Werck so lang gedrähet, das sie durch ein politisch Stück-
lein die majora expractißirt und die vota suspensiva, so auf den Reichstag gangen, ad maiora gezogen [...], das
durch einen gemeinen Ratschluss mit ausdrücklicher bewilligung des catholischen Raths das Exercitium publi-
cum gestattet werde72.

65 AD Bas-Rhin C 5, Nr. 1
66 AD Bas-Rhin C 5, Nr. 2.
67AD Bas Rhin C 5, Nr. 4.
68 Vgl. Hanauer, Protestantisme, S. 119.
69 Regest des Briefes in: Korrespondenzen österreichischer
Herrscher. Die Korrespondenz Maximilians II., Bd. 1:
Familienkorrespondenz 1564 Juli 26 - 1566 August 11,
bearb. von Viktor Bibl, Wien 1916 (= Veröffentli-

chungen der Kommission für Neuere Geschichte Öster-
reichs 14), Nr. 69, S. 72.
70 AD Bas-Rhin C 5, Nr. 54.
71Vgl. vor allem die Darstellung in Hanauer, Protestan-
tisme, S. 117-130; daran schließen sich Grasser / Tra-
band, Histoire de Haguenau, S. 91 an.
72 AM Haguenau GG 59, Nr. 53, Bl. 2-3; das Zitat ist
Grasser, Crises, S. 197, Anm. 47 entnommen.

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