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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0439
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Einleitung

In ihrer Eingabe vom 22. Oktober 1607, in welcher sie ihren Protest gegen die Übertragung der Latein-
schule an die Jesuiten vorbrachten, hatten die Vertreter der evangelischen Seite den Rat um die Zuweisung
eines Gebäudes gebeten, um eine eigene Schule für ihre Kinder einrichten zu können151. Dieses Gesuch
wurde vom Rat zunächst abgelehnt. Erst als 1611 die Stelle des bis dahin noch an der Lateinschule tätigen
evangelischen Präzeptors Johannes Becker aufgehoben wurde, gab der Rat seine Zustimmung zur Grün-
dung einer eigenen Lateinschule für die evangelischen Kinder mit einem Rektor und zwei Lehrern als
Personal152.
Am 3. Juni 1614 kam es zur Gründung des Jesuitenkollegs in Hagenau. Die Stadt übertrug den Jesuiten
die Pfarrkirche St. Georg mit allen Gebäuden, das Haus der Lateinschule sowie die Kapelle des Beinhauses,
in der die Patres bislang ihre Gottesdienste gefeiert hatten. Darüber hinaus sagte sie dem Orden jährlich
1.000 Gulden (900 Gulden in Geld und 100 Gulden in Naturalien) für seine Predigt- und Unterrichtstätig-
keit zu153. Der Kaiser bezeugte seine Unterstützung für die Jesuiten, indem er ihnen das leerstehende
Wilhelmitenkloster in Hagenau sowie das Kloster im benachbarten Marienthal schenkte154.
Die evangelischen Mitglieder des Rates hatten ihre Zustimmung zu den Zahlungen an die Jesuiten von
einer Kompensation für ihre Seite abhängig gemacht. Und so wurde noch am Tag der Gründung des Jesu-
itenkollegs, dem 3. Juni 1614, ein „Fundationsbrief“ ausgestellt, in welchem den Evangelischen das Schiff
der Franziskanerkirche mit dem um die Kirche liegenden Friedhof, ein dem Spital gehörendes Haus in der
Stallgasse als Wohnung für den Diakon und ein frischerworbenes Gebäude auf dem Graben für die Latein-
schule übertragen wurden. Zusätzlich wurden die im Jahr 1598 festgelegten Gehälter der drei evangelischen
Geistlichen um 100 Gulden aufgestockt155.
12. Verbot jeglicher Angriffe und Diskussionen wegen der Religion, 8. Mai 1617 (Text S. 466)
Im Fundationsbrief hatte der Rat die Hoffnung geäußert, daß er durch die getroffenen Maßnahmen den
entstandenen wiederwillen und mißtrawen beseitigen und das rechte gutvertrawen innerhalb der Bürgerschaft
wiederherstellen könne. Der Wunsch erfüllte sich jedoch nicht. Seit der Ankunft der Jesuiten in der Stadt
war es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den beiden konfessionellen Lagern gekommen156. Auf
Initiative der Jesuiten wurden die Marienfeiertage (Visitatio, Conceptio) wieder festlich begangen; die
Prozessionen, die sich bisher auf die nähere Umgebung der katholischen Kirchen beschränkt hatten, führten
wieder durch das gesamte Stadtgebiet157. Dies mußte von den Protestanten als Provokation verstanden
werden. Die Geistlichen beider Lager heizten die Stimmung unter den Gläubigen noch durch ihre Predigten
an158.
Am Karfreitag 1603, kurz nachdem die zwei Jesuitenpatres ihre Stellen als Helfer des Pfarrers von
St. Georg angetreten hatten, war es zu einem ersten schweren Vorfall gekommen. Anscheinend handelte es
sich dabei um eine Verschwörung von evangelischer Seite gegen die Katholiken in der Stadt159. Der Fall
schlug so hohe Wellen, daß Rudolf II. eine kaiserliche Kommission zur Untersuchung einsetzte; die Kom-

151 AM Haguenau GG 54, Nr. 7.
152 Vgl. Hanauer, Écoles latines, S. XXXI-LIV.
153 AM Haguenau GG 22, Nr. 4.
lo4 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 448.
155 Zur Besoldung der evangelischen Geistlichen s. die Zah-
len bei Jaeger, Réformation, S. 69f.
156 Vgl. hierzu auch die Bemerkung im Brief des evangeli-
schen Pfarrers Georg Volmar an den Stuttgarter Propst
Johannes Koch: Ab eo vero tempore, quo Jesuitae in urbem
admissi et recepti sunt, in dies perturbatio esse coepit. Aus-
züge des Briefes in Jaeger, Réformation, S. 61f.

157 Vgl. Grasser, Crises, S. 171f.
158 Bei Hanauer, Protestantisme, S. 266 ist überliefert,
daß der Magistrat dem Diakon Sebastian Springer für
eine gewisse Zeit die Bezüge sperrte, weil er von der
Kanzel der Franziskanerkirche heftig gegen die Heu-
chelei der Papisten gepredigt hatte.
159 Die Bewertung der Geschehnisse am Karfreitag 1603,
die durch die Chronik der Jesuiten iiberliefert sind,
variiert je nach konfessionellem Standpunkt des Autors.

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