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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0126
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Das Hochstift und die Stadt Minden

Mitte der 1520er Jahre hatte die neue Lehre in Minden also bereits eine gewisse Resonanz gefunden, wie
auch aus dem Wietersheimer Rezess25 vom 11. August 1525 hervorgeht, den die Stiftsstände26 mit Bischof
Franz I. in Wietersheim, heute ein Ortsteil von Petershagen, schlossen. Dieser Vertrag hielt unter Bezug auf
die Formel des Nürnberger Reichsabschieds von 152427 fest, nicht gegen die „neue Sache, die man marti-
nisch nennt“, vorgehen zu wollen.28 Hiermit war jedoch nur die Duldung evangelischer Predigt gemeint,
keinesfalls fielen darunter weitere Zugeständnisse an die Protestanten, und im Jahr darauf vereinbarte
Bischof Franz mit seinem Bruder Christoph, dem Erzbischof von Bremen und Verden, sogar, die weitere
Ausbreitung der neuen Lehre zu unterbinden.29
1. Überschreibung des Dominikanerklosters St. Paul an den Rat 27. Januar 1530 (Text S. 119)
Ende 1529 trat die reformatorische Bewegung in Minden in die entscheidende Phase. Als der Benedikti-
nermönch Heinrich Traphagen,30 der seit 1525 Prädikant an St. Mauritius und Simeon war, am 29. Sep-
tember 1529 eine evangelische Predigt hielt, ließ der Abt ihn gefangen nehmen. Die Bürgerschaft empörte
sich dagegen, befreite Traphagen und setzte ihn wieder in sein Predigtamt ein.31
Seit Mitte der 1520er Jahre wurde in allen drei Pfarrkirchen der Stadt (St. Marien, St. Martin und
St. Mauritius und Simeon) evangelisch gepredigt, und es hatte sich eine große neugläubige Gemeinde for-
miert, die mit der Reformation auch die Möglichkeit gekommen sah, die Macht von Bischof und Geistlich-
keit in der Stadt zu beseitigen oder zumindest einzuschränken. Zur Durchsetzung dieser Ziele bestellten die
evangelischen Bürger einen 36-köpfigen Ausschuss, der die Mindener Reformation in den folgenden Jahren
lenkte.32 Dieses Gremium suchte die Unterstützung eines erfahrenen Theologen, den es schließlich in Niko-
laus Krage33 fand. Dieser war Hofprediger Graf Erichs IV. von Hoya, in dessen Diensten er in der Ober-
grafschaft Stolzenau bereits die Reformation eingeführt hatte. Am 27. Dezember 1529 hielt Krage seine
erste Predigt an der Martinikirche.34
Am gleichen Tag lud der 36er-Ausschuss die Vertreter des Klosters St. Mauritius und Simeon sowie der
beiden Stifte St. Johannes und St. Martin in Gegenwart des Rates aufs Rathaus.35 Er forderte sie auf, die
neue Lehre anzunehmen und sich dem Rat zu unterstellen. Als sie sich weigerten, wurden sie zur Unter-
schrift von Verträgen genötigt, die ihre hergebrachten Rechte stark beschnitten: Die Klöster und Stifte

25 KAM A I, Nr. 503. Beglaubigte Abschrift des Domkapi-
tels vom 21. Dezember 1526.
26 Die Landstände des Fürstbistums wurden gebildet vom
Domkapitel, der Ritterschaft, den fünf Prälaten der Klö-
ster und Stifte (St. Mauritius und Simeon in Minden,
Johanniter-Kommende in Wietersheim, Benediktinerin-
nenkloster/freiweltliches Damenstift St. Marien in Min-
den, Zisterzienserinnenkloster Levern und Augustinerin-
nenkloster/freiweltliches Damenstift Quernheim) sowie
den Städten Minden, Lübbecke, Hausberge, Petershagen
und Schlüsselburg, Schoppmeyer, Ausformung, S. 7-47;
Nordsiek, Vom Fürstbistum, S. 252.
27 DRTA.JR 4, S. 590-613, hier S. 603. Vgl. Kohnle,
Reichstag und Reformation, S. 217-219.
28 Krieg, Einführung, S. 39f.; ders., Geschichte des Bis-
tums, S. 58; Stupperich, Geistige Strömungen, S. 205,
214 Anm. 6; Nordsiek, Anfänge, S. 46; Schröer,
Reformation 2, S. 27f.
29 Aschoff, Franz, S. 193; Krieg, Einführung, S. 40;
Kohl/Gatz, Bistum, S. 57.
30 Zu Heinrich Traphagen († ca. 1543) siehe Nordsiek,
Glaube und Politik, S. 104 Anm. 20; Bauks, Pfarrer,

Nr. 6367; Schröer, Reformation 2, S. 640 Anm. 8;
Wilms, Geschichte, S. 25 Anm. 42.
31 Krieg, Einführung, S. 44; Nordsiek, Anfänge, S. 56-
59; ders., Glaube und Politik, S. 14; ders., Von Lüchow,
S. 57f.; Ehbrecht, Form und Bedeutung, S. 143f.; ders.,
Verlaufsformen, S. 40f.; Wilms, Geschichte, S. 28f.
32 Nordsiek, Anfänge, S. 59-61, 90-93; Schulte, Macht
auf Zeit, S. 113-120; Ehbrecht, Form und Bedeutung,
S. 144.
33 Zu Nikolaus Krage (um 1490-1559) siehe Nordsiek,
Von Lüchow, S. 51-106; ders., Beiträge zur Geschichte,
S. 236-246; ders., Anfänge, S. 52; Brecht, Reformation,
S. 37f. und Anm. 37; Krieg, Einführung, S. 46f.;
Schröer, Reformation 2, S. 640 Anm. 13; Bauks, Pfar-
rer, Nr. 3442; Schumacher, Andreas, Gelehrter Män-
ner Briefe an die Könige in Dänemark von 1522-1663,
Bd. 3, Kopenhagen 1759, S. 79-102, hier S. 95.
34 Nordsiek, Anfänge, S. 61, 64; ders., Glaube und Politik,
S. 15; ders., Von Lüchow, S. 58.
35 Das Domkapitel sowie Vertreter des Kanonissenstifts
St. Marien und des Dominikanerklosters St. Paul waren
nicht an der Zusammenkunft beteiligt.

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