Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0250
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Reichsabtei Corvey

3. Kirchenordnung für das Corveyer Stiftsdorf Bruchhausen 1603 (Text S. 240)
Das Dorf Bruchhausen, das ca. 12 km südwestlich von Höxter liegt, zählte zu den Corveyer Stiftsdör-
fern,16 das Patronatsrecht besaß aber die niederadelige Familie von Kanne. Jost von Kanne bekannte sich
in den 1540er Jahren zum evangelischen Glauben. Auch die Vertreter anderer Corveyer Adelshäuser nah-
men die neue Lehre an und setzten damit ein Zeichen gegenüber dem Fürstabt. 1566 vereinbarten die
evangelischen Herren der Stiftsdörfer sowie der Stadt Höxter, die Anerkennung des Abts davon abhängig
zu machen, ob dieser ihre Rechte, zu denen auch die öffentliche Ausübung des evangelischen Glaubens
gehörte, anerkannte.17
1593 hatte Dietrich von Kanne Clara von Canstein18 (ca. 1573-ca. 1617) geheiratet. Die Familie Can-
stein gehörte - ebenso wie die Familie Kanne - zu den westfälischen Geschlechtern, die früh evangelisch
geworden waren. Nachdem Dietrich 1599 verstorben war, führte Clara die Regierung für ihre unmündigen
Söhne, wobei sie auf dem Gut Bruchhausen ihren Witwensitz nahm.
In Bruchhausen formierte sich erst Ende des 16. Jahrhunderts eine evangelische Gemeinde. Erster
lutherischer Pfarrer wurde im Jahr 1600 Heinrich Wedemeyer.19 Clara von Canstein ließ eine Kirchenord-
nung für die Kannesche Patronatspfarrei Bruchhausen erarbeiten und diese 1603 in Lemgo bei Conrad
Grothes Erben drucken.20 Mit diesem Schritt trat sie ihrer Patronatsgemeinde nach Art einer Landesherrin
gegenüber.21 Die Bruchhauser Kirchenordnung ist „die bislang einzige Kirchenordnung ..., die im Weser-
raum nachweisbar von Angehörigen des niederen Adels für eine in seinen Herrschaftsbezirken gelegene
Gemeinde aufgesetzt wurde“.22 Auch über den Weserraum hinaus ist die Bruchhauser Ordnung in ihrer
rechtlichen Konzeption ein Solitär.
Neben diesem Alleinstellungsmerkmal besaß die Kirchenordnung eine gewisse regionale Bedeutung, da
sie vor einem konfessionspolitisch brisanten Hintergrund entstanden war. Das Gut Bruchhausen gehörte als
Corveyer Stiftsdorf nicht nur zum Bistum Paderborn, sondern grenzte auch unmittelbar an das Gebiet des
Hochstifts. Um 1600 war Bischof Dietrich von Fürstenberg mit dem überwiegend evangelischen Paderbor-
ner Adel in offenen Konflikt geraten, da er das katholische Bekenntnis in seinem Bistum restituieren wollte
und hierfür 1602 die „Agenda Ecclesiae Paderbornensis“ erlassen hatte.23 Deren Durchsetzung stieß jedoch
auf hartnäckigen Widerstand beim Adel, der keine Eingriffe in den Bekenntnisstand seiner Patronatspfar-
reien zulassen wollte. Diese Gegenwehr, die sich nicht nur in Bruchhausen, sondern auch in den Gemeinden
Amelunxen, Körbecke und Rheder nachweisen lässt, ging als „Paderborner Agendenstreit“ in die Diöze-
sangeschichte ein. Die Auseinandersetzung konnte erst 1608 nach Appellation an den Kaiser und das

16 Zu diesen gehörten auch Amelunxen, Wehrden, Blanke-
nau, Drenke und Lüthmarsen, Bocholtz-Asseburg,
Beiträge, S. 1-436.
17 Rahe, Kirchenordnung, S. 272; Lilge, Machtprobe,
S. 6; Jacobson, Geschichte, S. 538; Schumacher, Ge-
schichte, S. 12.
18 Zu Clara von Canstein siehe Hufschmidt, Starke
Frauen, S. 348-357; dies., Adlige Frauen, S. 223-228; Adel
im Weserraum, S. 191f.
19 Bauks, Pfarrer, Nr. 6695. Vgl. Bocholtz-Asseburg,
Beiträge, S. 279, 311; Rahe, Kirchenordnung, S. 273.
20 Obwohl die Bruchhauser Kirchenordnung 1603 gedruckt
wurde, sind heute nur noch folgende Exemplare bekannt:
SUB Göttingen 8 J STAT V, 6047 ( = unsere Textvorlage);
Staatsbibliothek Berlin Dr 8860 (Digitalisat unter http://
resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN801009588, auf-
gerufen am 4.2.2015); Landeskirchenamt Bielefeld, (LkA
EKvW 4.42 Nr. 49). Bei dem Bielefelder Exemplar han-

delt es sich um das der Gemeinde Bruchhausen, es enthält
zahlreiche handschriftliche Eintragungen. Vgl. Rahe,
Kirchenordnung, S. 297.
Hufschmidt, Starke Frauen, S. 355f.; dies., Adlige
Frauen, S. 224f.; Hengst, Kirchliche Reformen, S. 73.
Hufschmidt, Starke Frauen, S. 354.
Die Paderborner Agende „enthält auf 387 Seiten einen
dogmatischen, moraltheologischen, liturgischen und kir-
chenrechtlichen Abriß, ferner das Tridentinische Glau-
bensbekenntnis, einen Fest- und Fastenkalender, die ver-
bindliche Form der Sakramentenspendung und Formeln
für sonstige priesterliche Amtsverrichtungen sowie als
Anhang den Kleinen Katechismus des Petrus Canisius“,
Brandt/Hengst, Geschichte 2, S. 204. Vgl. Hengst,
Kirchliche Reformen, S. 71-76; Keller, Gegenreforma-
tion 2, S. 527-533 Nr. 455 und S. 526f. Nr. 454; S. 582-588
Nr. 489.

232
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften