Einleitung
Visitatoren aus dem gleichen Jahr55 sowie die von Urbanus Rhegius verfasste Hannoversche Kirchenord-
nung von 1536.56 Indirekt flossen somit auch Anteile dieser Ordnungen in das lippische Regelwerk ein.57
Inhalt, Kapitelgliederung und die Verwendung der niederdeutschen Sprache in der lippischen Kirchen-
ordnung gehen zwar vorwiegend auf die Bremer Kirchenordnung von 1534 zurück, die Ordnung stellt
jedoch einen eigenständig formulierten Text dar, der zudem wesentlich kürzer ausfällt als die Bremer Vor-
lage. Die einzelnen Regelungen decken ein inhaltlich weit gespanntes Spektrum ab. Neben theologischen
Reflektionen über die Reformation als solche stehen Ausführungen zu Gesetz, Evangelium, freiem Willen,
rechtem Glauben, guten Werken, zum Fegefeuer, zu Kreuz und Leiden sowie zur christlichen Freiheit.
Ferner finden sich praktische Regelungen zu Taufe, Abendmahl, Krankenbesuch, Bann, Beichte, Buße,
Gebet, Heiligenverehrung, Festtagen, Ehesachen, Klosterkonventen, zum Armenwesen, zu Schule und
Katechismusunterricht sowie zu Begräbnissen. Schließlich enthält die Ordnung einige Abschnitte zur Amts-
und Lebensführung des kirchlichen Personals, zu Stellung und Aufgaben der Obrigkeit sowie zum ange-
messenen Verhalten der Untertanen. Ein Charakteristikum der lippischen Kirchenordnung, das zwar aus
der Bremer Vorlage übernommen, aber stärker als in dieser ausgebaut worden war, ist die Gegenüberstel-
lung von Abschnitten, die den aus Sicht der Protestanten falschen Gebrauch der Zeremonien in der römi-
schen Kirche und den richtigen in der evangelischen verdeutlichen, etwa in den Kapiteln „Des evangelii
misbruch“ und „Des evangelii rechte art und gebruck“ oder „Von der dope misbruck“ und „Rechte wesent
der doepe“.58 Augenfällig sind ferner die zahlreichen Verweise auf Bibelstellen, auf das kanonische Recht
und die Schriften der Kirchenväter, durch die sich auch Johannes Timanns Ordnungen für Ostfriesland und
Bremen auszeichnen.59
Die Lippische Kirchenordnung von 1538, die von der Wittenberger Theologie geprägt ist, wurde in der
gesamten Grafschaft Lippe eingeführt, mit Ausnahme der Stadt Lemgo, wo man bei der zuvor angenom-
menen Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 blieb.60
Die lippische Kirchenordnung ist in fünf handschriftlichen Exemplaren bekannt:
Fassung A: Ein Exemplar,61 das mit Korrekturen durch die Schreiberhand sowie Kommentaren von
anderer Hand versehen ist. Dieses Stück, das im Bestand der Grafschaft Waldeck überliefert ist, dokumen-
tiert die Entstehungsgeschichte der Waldecker Kirchenordnung von 1556,62 an der auch Hermann Hamel-
mann und der lippische Hofprediger Johannes Wilhelmi mitgewirkt hatten. Die Waldecker Grafen waren
seit dem 13. Jahrhundert mit den Edelherren und späteren Grafen zur Lippe verschwägert, und Wolrad II.
hatte sich die lippische Kirchenordnung 1556 als Vorlage für ein eigenes Regelwerk zuschicken lassen.
Obwohl er den lippischen Text intensiv studierte und mit Randbemerkungen versah,63 übte dieser letztlich
keinen Einfluss auf die Waldecker Ordnung aus, die sich vielmehr an sächsischen Vorlagen orientierte.64
Fassung B: Eine Handschrift, in der einzelne Passagen von der Hauptschreiberhand am Rand oder auf
eingelegten Blättern nachgetragen wurden.65 Auf manchen Seiten finden sich auch Markierungen wie „B“
55 Abdruck in Sehling, EKO I, S. 149-174.
56 Abdruck in Sehling, EKO VI/2, S. 944-1017.
57 Sprengler-Ruppenthal, Bremer Kirchenordnung,
S. 114f.; dies., Joannes Amsterdamus, S. 466, 496-505,
511; Iken, Kirchenordnung; Schilling, Konfessions-
konflikt, S. 116f. und Anm. 204.
58 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amsterdamus,
S. 465; Tschackert, Entstehung, S. 581f. Zum Inhalt
siehe auch Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amster-
damus, S. 463-473, 505-511; Rügge, Kirchenordnungen,
S. 16; Haase, Reformieren, S. 25f.; Kiewning, Ge-
schichte, S. 150f.; Schilling, Konfessionskonflikt,
S. 130f.; Olschewski, Reformation, S. 154.
59 Timanns umfassende Kenntnis des Kirchenrechts be-
leuchtet Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amsterda-
mus, S. 455, 458f., 481-496. Vgl. Rudloff, Väterver-
weise, S. 53-76.
60 Wolf, Einfluß, S. 88.
61 StaatsA Marburg Best. 115.7 Generalia Nr. 4.
62 Abdruck in Sehling, EKO IX, S. 229-295.
63 Vgl. Wassmann, Waldeck, S. 40. Graf Wolrads Randbe-
merkungen werden in unserem Abdruck nicht wiederge-
geben.
64 Vgl. Sehling, EKO IX, S. 173.
65 LAV NRW OWL, L 65 Nr. 4, fol. 59v-107r.
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Visitatoren aus dem gleichen Jahr55 sowie die von Urbanus Rhegius verfasste Hannoversche Kirchenord-
nung von 1536.56 Indirekt flossen somit auch Anteile dieser Ordnungen in das lippische Regelwerk ein.57
Inhalt, Kapitelgliederung und die Verwendung der niederdeutschen Sprache in der lippischen Kirchen-
ordnung gehen zwar vorwiegend auf die Bremer Kirchenordnung von 1534 zurück, die Ordnung stellt
jedoch einen eigenständig formulierten Text dar, der zudem wesentlich kürzer ausfällt als die Bremer Vor-
lage. Die einzelnen Regelungen decken ein inhaltlich weit gespanntes Spektrum ab. Neben theologischen
Reflektionen über die Reformation als solche stehen Ausführungen zu Gesetz, Evangelium, freiem Willen,
rechtem Glauben, guten Werken, zum Fegefeuer, zu Kreuz und Leiden sowie zur christlichen Freiheit.
Ferner finden sich praktische Regelungen zu Taufe, Abendmahl, Krankenbesuch, Bann, Beichte, Buße,
Gebet, Heiligenverehrung, Festtagen, Ehesachen, Klosterkonventen, zum Armenwesen, zu Schule und
Katechismusunterricht sowie zu Begräbnissen. Schließlich enthält die Ordnung einige Abschnitte zur Amts-
und Lebensführung des kirchlichen Personals, zu Stellung und Aufgaben der Obrigkeit sowie zum ange-
messenen Verhalten der Untertanen. Ein Charakteristikum der lippischen Kirchenordnung, das zwar aus
der Bremer Vorlage übernommen, aber stärker als in dieser ausgebaut worden war, ist die Gegenüberstel-
lung von Abschnitten, die den aus Sicht der Protestanten falschen Gebrauch der Zeremonien in der römi-
schen Kirche und den richtigen in der evangelischen verdeutlichen, etwa in den Kapiteln „Des evangelii
misbruch“ und „Des evangelii rechte art und gebruck“ oder „Von der dope misbruck“ und „Rechte wesent
der doepe“.58 Augenfällig sind ferner die zahlreichen Verweise auf Bibelstellen, auf das kanonische Recht
und die Schriften der Kirchenväter, durch die sich auch Johannes Timanns Ordnungen für Ostfriesland und
Bremen auszeichnen.59
Die Lippische Kirchenordnung von 1538, die von der Wittenberger Theologie geprägt ist, wurde in der
gesamten Grafschaft Lippe eingeführt, mit Ausnahme der Stadt Lemgo, wo man bei der zuvor angenom-
menen Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 blieb.60
Die lippische Kirchenordnung ist in fünf handschriftlichen Exemplaren bekannt:
Fassung A: Ein Exemplar,61 das mit Korrekturen durch die Schreiberhand sowie Kommentaren von
anderer Hand versehen ist. Dieses Stück, das im Bestand der Grafschaft Waldeck überliefert ist, dokumen-
tiert die Entstehungsgeschichte der Waldecker Kirchenordnung von 1556,62 an der auch Hermann Hamel-
mann und der lippische Hofprediger Johannes Wilhelmi mitgewirkt hatten. Die Waldecker Grafen waren
seit dem 13. Jahrhundert mit den Edelherren und späteren Grafen zur Lippe verschwägert, und Wolrad II.
hatte sich die lippische Kirchenordnung 1556 als Vorlage für ein eigenes Regelwerk zuschicken lassen.
Obwohl er den lippischen Text intensiv studierte und mit Randbemerkungen versah,63 übte dieser letztlich
keinen Einfluss auf die Waldecker Ordnung aus, die sich vielmehr an sächsischen Vorlagen orientierte.64
Fassung B: Eine Handschrift, in der einzelne Passagen von der Hauptschreiberhand am Rand oder auf
eingelegten Blättern nachgetragen wurden.65 Auf manchen Seiten finden sich auch Markierungen wie „B“
55 Abdruck in Sehling, EKO I, S. 149-174.
56 Abdruck in Sehling, EKO VI/2, S. 944-1017.
57 Sprengler-Ruppenthal, Bremer Kirchenordnung,
S. 114f.; dies., Joannes Amsterdamus, S. 466, 496-505,
511; Iken, Kirchenordnung; Schilling, Konfessions-
konflikt, S. 116f. und Anm. 204.
58 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amsterdamus,
S. 465; Tschackert, Entstehung, S. 581f. Zum Inhalt
siehe auch Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amster-
damus, S. 463-473, 505-511; Rügge, Kirchenordnungen,
S. 16; Haase, Reformieren, S. 25f.; Kiewning, Ge-
schichte, S. 150f.; Schilling, Konfessionskonflikt,
S. 130f.; Olschewski, Reformation, S. 154.
59 Timanns umfassende Kenntnis des Kirchenrechts be-
leuchtet Sprengler-Ruppenthal, Joannes Amsterda-
mus, S. 455, 458f., 481-496. Vgl. Rudloff, Väterver-
weise, S. 53-76.
60 Wolf, Einfluß, S. 88.
61 StaatsA Marburg Best. 115.7 Generalia Nr. 4.
62 Abdruck in Sehling, EKO IX, S. 229-295.
63 Vgl. Wassmann, Waldeck, S. 40. Graf Wolrads Randbe-
merkungen werden in unserem Abdruck nicht wiederge-
geben.
64 Vgl. Sehling, EKO IX, S. 173.
65 LAV NRW OWL, L 65 Nr. 4, fol. 59v-107r.
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