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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0030
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Calenberg-Göttingen

denn noch zur zeit bey etlichen gesehen und ge-
spürt wird. Wir solten billich förderene die
göttliche warheit und mit höhesten vleisse hören
und annemen. So sihet man etliche, denen gar
viel lieber sein falsche lerer und lügenprediger
dan rechtschaffene bischoffe. Also solten wir
auch billich forderen helfen rechtschaffene gotts-
dienste. So seind etliche dermassen gesinnet,
das sie in solchem fall allenthalben treiben das
widerspiel. Was ist aber die ursach?
Es ist unser natur durch den fall Adae der-
massen verderbt und verdunkeltf, das sie imer
zum bösen und was fur der welt einen schein
hat, mehr denn zum guten und was Got recht
schetzt, geneigt ist. So haben wir auch einen
angebornen stolz und hoffart, das wir nicht
gerne weichen wollen, wo man uns etwas, so
unser vernunft zuwider und nicht begreiflich,
predigt und furhelt, vermeinen imer, unser weis-
heit, fromikeit und eigen krefte seien des ver-
mögens und ansehens fur Gott, das wir damit
vergebung der sunde und die gerechtikeit erlan-
gen können, wissen uns auch hie fein mit der
schrift zu schmucken und dieselbige auf unseren
sinn und neigung zu ziehen, das wir unser bö-
sen meynung ja eine gestalt geben, wie man
denn itzo bey denen sihet, die die gerechtikeit
der werk, als könne man dadurch selig werden,
wider unser teil, so des glaubens gerechtigkeit
und dabey rechte, gute werk als frücht und ge-
zeugnis desselbigen glaubens preisen, unver-
schampt leren dürfen.
Wenn aber Gott hie mit seinem worte kömpt,
unser gutdünken, vernunft, falschen wahn, er-
dichte gottsdienste und alles, was in unseren
augen herrlich und köstlich ist, verwirft und
angreifet, uns auch dabey aufs wort weiset mit
förderung des herzen und innerlicher gerechtig-
keit, da erhebt sich balde ein kampf, zank, zorn
und hadderg, und mus der, der unser thun so gar
veracht und allein aufs wort gesehen haben will,

so balde hören: Seducit turbas, er verfüret das
volk, oder wie in den geschichten der apostelen
[Act 17,18] Paulus hören mus: Wo kumpt her
dieser unnützer wescher und lotterbube? Ja, da
mus Micheas vom Sedechia geschlagen [l.Kön 22,
24], Jeremias in die grube geworfen [Jer 38, 6],
Joannes der teufer geköpft [Mt 14, 10], Christus
gekreuziget, die aposteln gesteupt [Act 16, 22;
2. K 11, 25] und Stephanus gesteiniget [Act 7,
56 ff.] werden; denn kurzumb wil das fleisch,
das ist der fleischlich mensch, seine gleisnerey,
gutdünken und erdichte gotsdienste ungestrafft
haben und nicht leiden, das man sag, es fordere
Got im gesetz nicht allein den eusserlichen
schein, sonder vielmehr das herz und glauben und
das derhalben alle werk, so aus dem glauben
nicht fliessen, Gott dem Herrn nicht angenem
sein können, Matt. 5 [3 ff.] und Roma. 14 [17 f.].
Und eben aus solcher menschlicher vernunft,
weisheit, gutdünken und furwitzh seind so viel
menschenlere, -gebote, -treume und falsche gotts-
dienste, die man in die justificationsache ge-
mengt und die gewissen damit verstrickt hat,
hergeflossen.
Sölcher unser furwitz und gutdünken ist Gott
allezeit gar wolbekant gewesen, hat auch der-
halben seinem volke sein wort gegeben, durch
welchs sie von eigener weisheit und fromikeit
abgefurt und allein auf die gerechtigkeit, so fur
Gott gilt, gezogen werden solten. Denn ob Gott
wol selbs den Jüden viel eusserlicher werke und
ceremonien im alten testament zu thun befolhen
hat, so hat er sie doch der meinung geboten, das
er allezeit die innerliche gerechtikeit zu voran
hat haben wollen, wie wir lesen Jeremie am 7.
[21—23]: Thut euer brandopfer und andere opfer
zusamen und fresset fleisch; denn ich hab eue-
ren veteren des tages, da ich sie aus dem land
Aegypten furte, weder gesagt noch geboten von
brandopferen noch anderen opferen, sonder das
gebot ich ihnen und sprach: Höret mein wort,

e Gotts wort sind wir zu forderen schuldig.
f Ursach, warumb Gotts wort nicht von allen angenomen wird.
g Verfolgung der göttlichen warheit und aller gotseligen.
h Woher menschliche gesetz komen sein.

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