Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0163
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Klosterordnung 1542

verendert und verworfen wurde, der solchs un-
gerochen lassen konte? Noch sein wir in unserm
christenthumb so furwitzig gewesen, das solchs
nicht auf eine, sonder mancherlei weise dem
allerhoesten Herrn Christo zu nachteil und sei-
nem heiligen worte zuwider gescheen ist, wie
dan solchs die vilfaltigen orden und sekten, so
auf laubere mens:hensatzungen gestift sein, gnug-
sam bewisen und anzeigen.
Christus in evangelio Johannes erkennt alleine
die vor seine jungern, so ihn lieb haben und
sein wort halten, Joh. 15 [4 ff.]. Wo wirt aber
in den klostern das verdienst Christi geliebt
ader sein wort gehalten? Setzen sie nicht ihr
vertrauen auf einige werk und fromkeit? Haben
sie nicht anstatt des evangelii menschliche sat-
zunge? Desgleichen hat der heilige Paulus in
der wahren christlichen religeon so gar keine
spaltungh oder sekten leiden konnen, das er
auch die Corinter heftig gestraft hat, als die-
jenigen, so sich unpillicherweise paulisch, apol-
lisch oder kephisch zu heissen angefangen het-
ten, unangesehen, das sie allein in dem nhamen
Christi und nicht in dem naemen einigs apostels
getauft wheren, 1. Cor. 2 [1. K 3, 4 ff.]. Dar-
gegen seind die klosterleuth so blinth gewesen,
und wolte Gott, das solche blintheit allein unter
menschliche regelen und satzungen genzlich be-
geben, sundern auch der lahr Christi und der
aposteln gar vergessen haben; dan wo wolten
sonst sovil orden und sekten widder die evan-
gelische lahr herkomen sein?
Sye wolten sich woll gerne putzen und
schmucken mit den spruchen des alten testa-
ments, so von gelubden sagen, als Ps. 77 [Ps 76,
12]: Vovete, reddite6, desgleichen mit etzlichen
exempeln, als Hanne der prophetissin, die Gott
im tempel tagh und nacht gedienet habe, Luc. 2
[36 ff.], item des heiligen Pauli, der sich [zu]
Cenchris seinem gelubde nach hab beschoren
und reinigen lassen, Act. 18 [18] und 21 [24 ff.],
sehen aber aus unverstande der heiligen schrift
nicht, das christliche freiheit den gelubden des
alten testaments, darauf solche spruche sehen,

6 Druckvorlage: reedite.

gar nit unterworfen ist. Und wan sie dan ge-
leiden, solcher spruche, von gelubden lautend,
viele anziehen, so haben wir uns doch imer dar-
mit zu behelfen, das Paulus zun Romern an
6. [14] sagt: Ihr seit nhun nicht unter dem
gesetz, sunder unter der gnad, wissen auch, wo
durch dis wort „vota“ nicht ein gedemutigt
herz7, todtung des fleischs, godslob, danksagungh
und woldath gegen den nehesten vorstanden
wirt, das es uns da nichts angeth; den war ists,
das die taufe und christliche religen solche
dinge mit sich bringe. Doch von der geistlichen
gelubnissen, von welchen sie so gros halten,
wollen wir hirnach sagen.
Das exempel Hanne der prophetissen, die erst-
lich jungfrau, darnach ehelich gewesen und vol-
gends im wethwenstande Gott gedienet hat, thut
zur muncherey ader nonnerey nichts. Den sol-
cher brauch, das etzliche gotselige weiber fur
der thur des tabernakels gewachet haben, ist
ein judischer brauch gewesen, der im andern
buch Mose am 33. [Ex 38, 8] seinen grunth hat,
und werden daselbst solche weiber exercitus
Deo militans geheissen, gehet uns aber als Chri-
sten nichts an. Vil weniger konnen die kloster-
leuth, von welchen weder alth noch neu testa-
menth zu sagen weis, hiemit ihren stant bewei-
sen; den ob beten, fasten und Got dienen woll
recht ist und gescheen sall und mus, so ist aber
dennoch unser, der Christen, gebeth, fasten und
gotsdienst an keine sonderliche zeit oder orter
gepunden, sonder heisset, wie Christus Joh. 4
[21. 23] sagt: Es kompt die zeit und ist schon
hie, das man weder auf dissem berge nach zu
Jerusalem anbeten wirt, sonder die rechten an-
bether werden den Vater anbeten im Geiste und
in der warheit.
Also sagen wir auch vom exempel Pauli; denn
ob er sich woll lauth dem gesetze der Nazarener,
davon im 4. buch Mose am 6. [2-21] geschrieben
stehet, beschoren und gereiniget hat [Act 18, 18;
21, 24], so gibt gleichwoll der text nicht, das
ers aus noth ader zwang, sonder vielmehr den
Juden, so im christlichen glauben noch schwach
7 Druckvorlage: hern.

106

845
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften