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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0164
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Calenberg-Göttingen

wanen, aus christlicher freiheit und liebe zu
dienst gethan habe, und ist kein zweifel, wens
von ihm als ein notig dingh zur seligkeit ge-
fordert were worden, er werde sich hirin ja so
hart gehalten haben, als er that, da er Titum
als aus noth beschneiden lassen solthe [Gal 2,
3 ff.]; den es ist ihme umb christliche freiheit
des zu grosser ernst gewesen, und mus also
war pleiben, das die klosterleut weder schrift
noch exempel haben, damit ihrem stande gehol-
fen werden moge. Sie wolten dan trauen Jo-
hannem den teufer anziehen, der aus Gottes
befelh ein solch hart leben, damit volgendes
seiner predigt desto bas gegleubt wurde, in der
wuste gefurth hat. Wo haben aber unser kloster-
leut von Gott solchen befelch?
Ja, sagen sie nhun, obwoll von unserm stande
in der heiligen schrift kein meldungh geschuth,
so ist er aber gleichwoll nicht wider das evan-
gelium, sonder volgendes den heilgen vetern
durch den heiligen Geist geoffenbart worden,
von welcher offenbarungh Christus selbst spricht
Joh. 15 [Joh 16, 12 f.]: Ich habe euch noch viel
zu sagen, ihr kunth es aber itzo nicht tragen.
Wen aber jener, der Geist der warheit, komen
wirt, der wirt euch furen in alle warheit etc.
So ist auch unser stand ein volkomer stand,
darin man werke thut, so man sonst, weil es
rethe sein, zu thun nicht schuldig were etc.8.
Wie kan aber das war sein, das solche von
menschen erdichtede stende wider das evan-
gelium nicht sein solten? Es wollen die kloster-
leuth mit ihren werken, beten, fasten, filfeltigen
ceremonien und gelubden nicht allein vorgebungh
der sunde verdienen und gerecht werden, son-
dern vermeinen auch, im himel fur andern Chri-
sten eine sonderliche prerogativam und eminenz
zu haben. Wo stehet aber solchs geschrieben?
Wo findet man solchs im evangelio ? Lereth nicht
dasselbige, wer gleube und getauft werde, der
solle selig werden, Marci am letsten [Mk 16,16]?
Horet man auch hie einige exception, die ge-
meinen Christen, so allein am evangelio hangen,
zu nachteil ader den klosterleuten, so die hei-

8 Vgl. oben S.753, Anm.79; S.780 u. Anm. 40. 42.

ligsten sein wollen, zu einem fortheil komen
konnen? Nein zwar, sonder es wirt zu allen
in das gemein gesagt, wer gleube und getauft
werde, er sey frau oder man, jungfrau oder
eheweib, der solle selig werden. Also schleusset
auch der heilige Paulus im christenthumb alle
ansehungh oder personen vor Gott aus, da er
sagt [Kol 3, 9 ff.]: Ziehet den alten menschen
mit seinen werken aus und ziehet den neuen
an, der erneuert wirt zum erkentnis nach dem
ebenbilde des, der ihn geschaffen hat, da kein
Greech, kein Jud, kein beschneidungh, kein vor-
haut, ungrieche, Schyta, knecht oder freyer ist,
sonder alle dingh und in allen Christus. Was,
ist nicht beinahe alles, was in den klostern
geschut, wider das evangelium?
Erstlich binden sie die gotseligkeit an sunder-
liche orther, personen, zeit und stede, welchs
wider den offentlichen text ist, Matth. 24 [26],
wen sie sagen: Hie ist Christus, da ist er, so
gleubet ihnen nicht. Und Paulus will 1. Tim. 2
[8] haben, das man reine hende allenthalben zu
Gott ufheben soll.
Zum andern wirt in solchen stenthen die ehe9
verpotten und gehindert, auch denen, so die gabe,
keusch zu leben, nicht haben, welches wider
den text ist Matth. 9 [Mt 19, 11]: Solchs wort
fasset nicht jederman, item wider Paulum 1.
Cor. 7 [9], da er sagt: Es ist besser freien den
brennen.
Zum dritten ist bei solchem volke die teuf-
lische lere von unterscheit der speisse aufs ge-
waltigste, welche abermals wider das evan-
gelium ist, da es sagt: Was zum munde ein-
geth, verunreiniget den menschen nicht, Matth.
15 [11], und Paulus, 1.Tim. 4 [Tit 1, 15], sagt, das
dem reinen alle rein sey.
Zum vierthen haben auch solche stende myt
ihrem gebete gehandelt wider das evangelium,
nicht allein in dem, das dasselbige wider den
text Matth. 6 [7] allein in eitelen worten und
vielem plappern gestanden ist, sundern das sie
auch furgeben haben, sie konnen mit solchem
ihrem gebethe die verstorben seele aus dem
9 Druckvorlage: ehre.


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