Kirchenordnung 1536
oder versamlung der rechtgleubigen gewonlich
auch die gottlosen im regiment obenan sitzen
und andere leren, ja, verfüren. Darumb bedarf
es vleissigs aufsehens in der kirchen, das man
nicht anstat der warheit irthum und lügen höre
und also verfurt werde.
Denn Petrus sagt, 2. Pet. 2 [1]: Es waren auch
falsche propheten unter dem volk, wie auch
unter euch sein werden falsche lerer, die neben
einfüren werden schedliche sekten und verleug-
nen den Herrn, der sie erkauft hat.
Hie schreibt Petrus klar, das in dem geist-
lichen regiment bey den Jüden sind verfürische
vorgenger gewesen, und warnet uns dabey, das
wir uns hüten sollen; denn unter uns werden
sie auch sein. Das ist ja klar gnug.
Welche nu unter uns im geistlichen regiment
sind und doch nicht ware Christen sind, auch
nimermehr rechtgleubige werden, die werden frei-
lich mit leren und ihrem leben nicht viel guts
anrichten; denn ihr lere ist verfürisch und ihr
leben betriegende gleissnerey.
Gleichwol füren dieselbigen ungleubigen re-
genten der kirchen alle heiligen namen, als weren
sie rechte regenten. Denn Petrus nennet sie je
lerer, aber falsche lerer, welchs denn mörd-
lichen, grossen schaden thut. Do Christus auf
erden wandelt und zu Jerusalem leret, waren
auch öberste bischoff und priester regenten der
synagogah. Ihr haufe ward synagoga genentund
hielten sich selbs fur die waren kirchen, wolten
auch von jederman dafur gehalten werden.Was
warens aber fur leut? Eitel falsche lerer und
verfürer, die weder Mosen noch propheten recht
vorstunden noch leren kunden. Es war eitel
irthum bey ihnen und menschenlere aus dem
thalmud7, wie ihnen Christus sagt Matth. 15 [9],
und nennet sie Matth. 23 [23. 27] gleissner und
geferbte greber, die weder gericht, barmherzig-
h Synagog.
i Die gottlosen rauben alle titel der Christen.
7 Talmud = Lehre, Auslegung zunächst der
h. Schrift, dann bes. der Mischna (= Samm-
lung von Halachasätzen, d. h. normierten
religiösen Satzungen), daneben auch Beschäf-
tigung mit der Haggada (= Deutung der ir-
keit noch glauben bey sich haben, die blinden-
leiter sind und nicht in der schrift verstehen,
sondern allein von aussen ein schein haben. Nu
warens je regenten und öbersten der kirchen
bey den Jüden, Christus aber wünscht ihnen
achtmal das jemerliche wehe, als denen, die
keine rechte Christen waren und auch andere
am glauben hinderten. Dennoch halten sie sich
so fest fur die waren kirchen im jüdenthum i,
das sie in bann theten und fur ketzer hielten
alle die, so in Christum gleubten und den aposteln
anhiengen, Joh. 9 [13 ff.]. Ja, da sich Nicodemus,
ein öberster unter ihnen, allein mit einem wort
merken liesse, als were er Christo nicht feind,
sprachen die regenten zu ihm: Wie? Bistu denn
auch ein Galileer? [Joh 7, 50 ff.]. Und da ihre
knechte Christum nicht gefangen hetten und
sich ab seiner lere verwunderten, sprachen die
öbersten prelaten: Wie? Seid ihr denn auch ver-
fürt? Wer ist unter den öbersten oder phari-
seern, der in ihn gleube? [Joh 7, 45-48].
Sehet, so sicher waren zur zeit Christi und
der apostel die öbersten prelaten im judenthum
und hettens so gewiss in ihrem sinn, sie weren
die rechte kirche und irreten nicht, die doch
von Gott verworfen, gar keine Christen, sondern
ketzer, diebe, mörder und verfürer des armen
volks waren.
Dieweil es denn also in der kirchen allweg
zugangen ist und noch zugehet, das die recht-
gleubigen und gottlosen untereinander gemenget
sind und gar oft anstat der hirten rechte wölf,
anstat der rechten bischoff und lerer verfürer
sitzen und doch den herrlichen titel und namen
füren, das sie vorgenger der kirchen, prelaten,
bischoff, lerer, hirten, seelsorger und dergleichen
genent werden und viel anhangs haben ihres
glaubens, welcher sich Gottes volk und die
christlich kirche nennet:
rationalen Bestandteile der Schrift). Der pa-
lästinensische Talmud wurde zuerst 1523, der
wichtigere babylonische vollständig 1520—23
in Venedig gedruckt. Vgl. RGG2 IV, 34 ff.
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oder versamlung der rechtgleubigen gewonlich
auch die gottlosen im regiment obenan sitzen
und andere leren, ja, verfüren. Darumb bedarf
es vleissigs aufsehens in der kirchen, das man
nicht anstat der warheit irthum und lügen höre
und also verfurt werde.
Denn Petrus sagt, 2. Pet. 2 [1]: Es waren auch
falsche propheten unter dem volk, wie auch
unter euch sein werden falsche lerer, die neben
einfüren werden schedliche sekten und verleug-
nen den Herrn, der sie erkauft hat.
Hie schreibt Petrus klar, das in dem geist-
lichen regiment bey den Jüden sind verfürische
vorgenger gewesen, und warnet uns dabey, das
wir uns hüten sollen; denn unter uns werden
sie auch sein. Das ist ja klar gnug.
Welche nu unter uns im geistlichen regiment
sind und doch nicht ware Christen sind, auch
nimermehr rechtgleubige werden, die werden frei-
lich mit leren und ihrem leben nicht viel guts
anrichten; denn ihr lere ist verfürisch und ihr
leben betriegende gleissnerey.
Gleichwol füren dieselbigen ungleubigen re-
genten der kirchen alle heiligen namen, als weren
sie rechte regenten. Denn Petrus nennet sie je
lerer, aber falsche lerer, welchs denn mörd-
lichen, grossen schaden thut. Do Christus auf
erden wandelt und zu Jerusalem leret, waren
auch öberste bischoff und priester regenten der
synagogah. Ihr haufe ward synagoga genentund
hielten sich selbs fur die waren kirchen, wolten
auch von jederman dafur gehalten werden.Was
warens aber fur leut? Eitel falsche lerer und
verfürer, die weder Mosen noch propheten recht
vorstunden noch leren kunden. Es war eitel
irthum bey ihnen und menschenlere aus dem
thalmud7, wie ihnen Christus sagt Matth. 15 [9],
und nennet sie Matth. 23 [23. 27] gleissner und
geferbte greber, die weder gericht, barmherzig-
h Synagog.
i Die gottlosen rauben alle titel der Christen.
7 Talmud = Lehre, Auslegung zunächst der
h. Schrift, dann bes. der Mischna (= Samm-
lung von Halachasätzen, d. h. normierten
religiösen Satzungen), daneben auch Beschäf-
tigung mit der Haggada (= Deutung der ir-
keit noch glauben bey sich haben, die blinden-
leiter sind und nicht in der schrift verstehen,
sondern allein von aussen ein schein haben. Nu
warens je regenten und öbersten der kirchen
bey den Jüden, Christus aber wünscht ihnen
achtmal das jemerliche wehe, als denen, die
keine rechte Christen waren und auch andere
am glauben hinderten. Dennoch halten sie sich
so fest fur die waren kirchen im jüdenthum i,
das sie in bann theten und fur ketzer hielten
alle die, so in Christum gleubten und den aposteln
anhiengen, Joh. 9 [13 ff.]. Ja, da sich Nicodemus,
ein öberster unter ihnen, allein mit einem wort
merken liesse, als were er Christo nicht feind,
sprachen die regenten zu ihm: Wie? Bistu denn
auch ein Galileer? [Joh 7, 50 ff.]. Und da ihre
knechte Christum nicht gefangen hetten und
sich ab seiner lere verwunderten, sprachen die
öbersten prelaten: Wie? Seid ihr denn auch ver-
fürt? Wer ist unter den öbersten oder phari-
seern, der in ihn gleube? [Joh 7, 45-48].
Sehet, so sicher waren zur zeit Christi und
der apostel die öbersten prelaten im judenthum
und hettens so gewiss in ihrem sinn, sie weren
die rechte kirche und irreten nicht, die doch
von Gott verworfen, gar keine Christen, sondern
ketzer, diebe, mörder und verfürer des armen
volks waren.
Dieweil es denn also in der kirchen allweg
zugangen ist und noch zugehet, das die recht-
gleubigen und gottlosen untereinander gemenget
sind und gar oft anstat der hirten rechte wölf,
anstat der rechten bischoff und lerer verfürer
sitzen und doch den herrlichen titel und namen
füren, das sie vorgenger der kirchen, prelaten,
bischoff, lerer, hirten, seelsorger und dergleichen
genent werden und viel anhangs haben ihres
glaubens, welcher sich Gottes volk und die
christlich kirche nennet:
rationalen Bestandteile der Schrift). Der pa-
lästinensische Talmud wurde zuerst 1523, der
wichtigere babylonische vollständig 1520—23
in Venedig gedruckt. Vgl. RGG2 IV, 34 ff.
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