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SITZUNGEN
Über diese, das Finanzsystem betreffende Maßnahmen hinaus muss zudem ein ange-
messener Schutz für die Verlierer der Globalisierung sichergestellt werden. Andern-
falls sind schwere politische Konsequenzen nicht auszuschließen. So schreibt Engels
1847: „Der Kommunismus ist hervorgegangen ... aus der Herstellung des
Weltmarktes, ... aus Handelskrisen, die zu vollständigen Weltmarktkrisen geworden
sind ...“
ROLF STÜRNER:
I. Fragestellung
Die Frage nach der Regulierbarkeit globaler Märkte setzt einen Regulierungsbedarf
stillschweigend voraus. Er dürfte auch letztlich völlig unbestritten sein, vor und nach
der Finanzkrise; denn es gibt keine Rechtskultur, die völlig ohne Regulierung aus-
kommt und sich dabei in einer Art vorrechtlichem Zustand befindet, und weltweit
sind die Bemühungen um eine Welthandelsordnung (WTO) sowie die Aktivitäten
der Weltbank oder des IWF Ausdruck dieser gemeinsamen Grundüberzeugung
menschlicher Zivilisation. Eine sinnvolle Fragestellung richtet sich deshalb auf Inhalt
und Ausmaß einer Regulierung und auf ihre reale Durchsetzbarkeit.
II. Systemimmanente Schwächen und Fehler des europäischen und globalen
Marktmodells
Das Marktmodell, wie es die beiden letzten Jahrzehnte bis zur Finanzkrise in den
Gesellschaften westlicher Zivilisation kaum in Frage gestellt war, geht davon aus, dass
die gewinnmaximierende Aktivität des Individuums der Garant wirtschaftlichen,
technischen und sozialen Fortschritts ist und deshalb möglichst geringer inhaltlicher
Regulierung unterliegen sollte. Dabei erweist sich aber die „rational choice“ des
homo oeconomicus in doppelter Weise als Halbwahrheit. Einmal schließt die un-
überschaubare Menge angebotener Informationen „rational choice“ vielfach aus,
und auch Informationsintermediäre wie Rating Agenturen können dieses Defizit
nicht zufriedenstellend ausgleichen; zum anderen agiert — vom „financial behavio-
rism“ wieder neu entdeckt — der informierte Marktteilnehmer häufig zwar ex post
analysierbar, aber nicht ex ante prognostizierbar irrational. Die Kapitalanlage durch
Investoren, die mit dem Unternehmen nur die Rentabilitätserwartung verbindet und
keine gesellschaftliche oder soziale Identität, führt zu einer Volatilität des Kapitals, die
langfristige Unternehmensstrategien verhindert oder stört und sich so mit Fehlallo-
kationen unternehmerischer Entscheidung verbindet. Das Gewinnmaximierungs-
denken verführt zum Geschäft mit Risiken, die entgegen manchen Thesen der
„neuen Mathematik des Risikos“ gerade nicht beherrschbar sind.
III. Grenzen des Marktmodells
Zum notwendigen Angebotswettbewerb um die beste Produktqualität zwischen den
Regionen Europas und der Welt tritt unter der Herrschaft freien Kapitalverkehrs
SITZUNGEN
Über diese, das Finanzsystem betreffende Maßnahmen hinaus muss zudem ein ange-
messener Schutz für die Verlierer der Globalisierung sichergestellt werden. Andern-
falls sind schwere politische Konsequenzen nicht auszuschließen. So schreibt Engels
1847: „Der Kommunismus ist hervorgegangen ... aus der Herstellung des
Weltmarktes, ... aus Handelskrisen, die zu vollständigen Weltmarktkrisen geworden
sind ...“
ROLF STÜRNER:
I. Fragestellung
Die Frage nach der Regulierbarkeit globaler Märkte setzt einen Regulierungsbedarf
stillschweigend voraus. Er dürfte auch letztlich völlig unbestritten sein, vor und nach
der Finanzkrise; denn es gibt keine Rechtskultur, die völlig ohne Regulierung aus-
kommt und sich dabei in einer Art vorrechtlichem Zustand befindet, und weltweit
sind die Bemühungen um eine Welthandelsordnung (WTO) sowie die Aktivitäten
der Weltbank oder des IWF Ausdruck dieser gemeinsamen Grundüberzeugung
menschlicher Zivilisation. Eine sinnvolle Fragestellung richtet sich deshalb auf Inhalt
und Ausmaß einer Regulierung und auf ihre reale Durchsetzbarkeit.
II. Systemimmanente Schwächen und Fehler des europäischen und globalen
Marktmodells
Das Marktmodell, wie es die beiden letzten Jahrzehnte bis zur Finanzkrise in den
Gesellschaften westlicher Zivilisation kaum in Frage gestellt war, geht davon aus, dass
die gewinnmaximierende Aktivität des Individuums der Garant wirtschaftlichen,
technischen und sozialen Fortschritts ist und deshalb möglichst geringer inhaltlicher
Regulierung unterliegen sollte. Dabei erweist sich aber die „rational choice“ des
homo oeconomicus in doppelter Weise als Halbwahrheit. Einmal schließt die un-
überschaubare Menge angebotener Informationen „rational choice“ vielfach aus,
und auch Informationsintermediäre wie Rating Agenturen können dieses Defizit
nicht zufriedenstellend ausgleichen; zum anderen agiert — vom „financial behavio-
rism“ wieder neu entdeckt — der informierte Marktteilnehmer häufig zwar ex post
analysierbar, aber nicht ex ante prognostizierbar irrational. Die Kapitalanlage durch
Investoren, die mit dem Unternehmen nur die Rentabilitätserwartung verbindet und
keine gesellschaftliche oder soziale Identität, führt zu einer Volatilität des Kapitals, die
langfristige Unternehmensstrategien verhindert oder stört und sich so mit Fehlallo-
kationen unternehmerischer Entscheidung verbindet. Das Gewinnmaximierungs-
denken verführt zum Geschäft mit Risiken, die entgegen manchen Thesen der
„neuen Mathematik des Risikos“ gerade nicht beherrschbar sind.
III. Grenzen des Marktmodells
Zum notwendigen Angebotswettbewerb um die beste Produktqualität zwischen den
Regionen Europas und der Welt tritt unter der Herrschaft freien Kapitalverkehrs