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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 25. April 2008
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Frisch, Wolfgang: Zur Zukunft des Schuldstrafrechts
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0067
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SITZUNGEN

recht wäre, den Täter für etwas zu tadeln, für das er nichts kann. Gleichwohl ist die
Idee des Schuldstrafrechts seit langem und gegenwärtig in besonderem Maße Ein-
wänden und Anfechtungen ausgesetzt.
Der immer wieder erhobene Einwand, es sei irrational und liege jenseits der
legitimen Aufgaben des Staates, durch Strafe Schuld ausgleichen zu wollen, bringt das
heutige Schuldstrafrecht freilich nicht ernsthaft in Verlegenheit. Denn dieser Ein-
wand geht von einem Schuldstrafrecht aus, das in dieser Form nicht mehr vertreten
wird. Das Schuldstrafrecht heutiger Prägung verfolgt ebenso legitime Aufgaben des
Staates wie die als rational geltenden präventiven Konzepte, nämlich die Bestätigung
der durch die Tat erschütterten faktischen Geltung der Rechtsordnung und die Ein-
wirkung auf den Täter zur Verhinderung weiterer Taten. Es unterscheidet sich von
rein präventiven Konzepten erst jenseits der Strafziele insoweit, als es den Täter nicht
einfach nach Maßgabe präventiver Bedürfnisse straft, sondern diese nur bis zur Gren-
ze der Schuld befriedigt — also allein durch die Verhängung von Schuldstrafen, nicht
darüber hinaus.
Durch diese (unter dem Aspekt berechtigten Tadels sinnvolle) Begrenzung
sieht sich das Schuldstrafrecht einer ganz anderen, ernsthaften Anfechtung ausgesetzt.
Wenn die Strafe an die Schuld als Grenze gebunden ist, so bedeutet das zugleich, dass
mit ihr nur eingeschränkt Gefährlichkeitsbekämpfung betrieben werden kann. In
einer Gesellschaft, in der die effiziente Abwendung krimineller Bedrohungen einen
hohen Stellenwert hat, wächst damit der Druck auf das Strafrecht, die Schuld-
bindung der Strafe zu lockern oder aufzuheben. Zwar lässt sich der Schutz vor kri-
minellen Bedrohungen innerhalb gewisser Grenzen richtigerweise auch außerhalb
des Instituts der Strafe befriedigen, etwa durch den Einsatz freiheitsentziehender ver-
brechensvorbeugender Maßnahmen. Aber da dieser Weg umstritten, gesetzgebungs-
technisch aufwändig und exponiert ist, liegt die Versuchung nahe, nicht diesen Weg
zu wählen, sondern die als solche akzeptierte Strafe so zu biegen, dass sie den Bedürf-
nissen der Gefährlichkeitsbekämpfung genügt. Der Blick auf das Strafrecht verschie-
dener Staaten zeigt, dass es — auf dieser Linie - im Bereich bestimmter Tätergruppen
längst zu einer Erosion des Schuldstrafrechts gekommen ist, die mit einer drastischen
Erweiterung prozessualer Zwangsmaßnahmen einhergeht. Diese Entwicklung ist
nicht nur problematisch, weil sie auf das verbleibende Schuldstrafrecht ausstrahlt und
dort sinnvolle Milderungsprozesse bedroht. Sie ist vor allem deshalb zu kritisieren,
weil durch die umfassende Befriedigung präventiver Bedürfnisse im Rahmen der
Strafe die hohen Legitimationsschwellen rein präventiv motivierter Freiheitsentzie-
hungen unterlaufen werden. Sollen diese Gefahren gebannt und weitere Deforma-
tionen der Strafe und des Strafprozessrechts vermieden werden, so bedarf es dringend
einer Rückbesinnung auf die Schuldbindung der Strafe und einer Ausrichtung des
eigentlichen Strafprozesses an den Möglichkeiten zulässiger Durchsetzung einer so
verstandenen Strafe.
Eine dritte Anfechtung und Kritik des Schuldstrafrechts ist alt, hat aber durch
die Erkenntnisse der neueren Hirnforschung höchst aktuelle Bedeutung erlangt.
Diese Kritik leugnet die Basis des Schuldstrafrechts, also die Fähigkeit des Täters zu
normkonformem Handeln, und stellt dieser These die Determiniertheit des Täter-
 
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