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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Math.-nat. Klasse am 25. Juli 2008
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Dosch, Hans Günter: Perception insensible bei Leibniz als Grundlage für eine Philosophie der Neurowissenschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0080
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25. Juli 2008

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führte eine zusätzliche wichtige Bestimmungsgröße ein, die Kraft (vis, in moderner
Terminologie Energie). Es waren also weder rein metaphysische Spekulation noch
reiner Empirismus, die Leibniz zu seiner Erweiterung des Materiebegriffes führten,
sondern eher ein Wechselspiel der beiden.
Um nicht die Kategorien zu vermischen, führte Leibniz zwei Ebenen ein, die
sich entsprechen: die derivative als die physikalische Ebene und die primitive als die
metaphysische Ebene. Auf der einen Seite sind diese Ebenen getrennt, aber es besteht
eine genaue Korrespondenz zwischen den beiden. Die Unabhängigkeit der beiden
Ebenen garantiert die Autarkie der Physik, in der nur Wirkursachen zugelassen sind,
im Gegensatz zur primitiven Ebene, wo auch Zweckursachen, causae finales, gelten.
Die derivative Ebene ist zwar in ihren Wirkungen autark, aber für die Begründung
wird die primitive Ebene relevant. Diese Korrespondenz zwischen Physik und Meta-
physik ist im Körper-Seele-Problem die „praestabilierte Harmonie“.
Leibniz übernimmt zwar zunächst den Cartesischen Dualismus von Geist und
Körper, aber er setzt eine direkte Korrespondenz zwischen den beiden, eben die pra-
establierte Harmonie, wobei zur Erklärung der Phänomene auf der körperlichen
Ebene nur Wirkursachen, auf der geistigen auch Zweckursachen zugelassen werden.
Man könnte das Verhältnis von Körper und Geist bei Leibniz daher einen Struktur-
dualismus nennen, und nicht wie bei Descartes einen Substanzdualismus.
Die praestabilierte Harmonie wurde bewundert und kritisiert, insbesondere
warnte Newton (durch seinen Gefolgsmann Clarke) davor, dass die praestabilierte
Harmonie zum reinen Physikalismus führe.
Während für Descartes die Tiere als nicht denkend reine Maschinen sind,
billigt Leibniz ihnen durchaus Seelen zu. Leibniz wird durch die Hypothese der
praestabilierten Harmonie auch gezwungen, den komplexen Verhältnissen bei den
Perzeptionen auch entsprechende körperliche Komplexität zuzuordnen.
Durch die bijektive Abbildungseigenschaft der praestabilierten Harmonie
ergibt sich ein direkter Bezug der seelischen auf die körperlichen Phänomene, „die
Perceptionen der Seele entsprechen immer auf natürliche Weise der körperlichen
Beschaffenheit“ sagt Leibniz explizit und er weist mehrfach darauf hin, dass Geist
nicht ohne irgendeinen Körper existieren kann.
Die perceptions insensibles spielen nicht nur bei kurzfristigen Vorgängen, wie
Entscheidungen, eine wesentliche Rolle für die Garantie der Stetigkeit, sondern
auch in der geistigen Entwicklung. Auf die Frage, wie es mit der seelischen Ent-
wicklung in der frühesten Kindheit bestellt sei, stellt Leibniz fest, dass die Perzeptio-
nen der Seele immer in natürlicherweise der Konstitution des Körpers entsprechen,
und solange es eine Menge verworrener und wenig unterschiedener Bewegungen
im Gehirn gibt, werden die Gedanken der Seele auch nicht deutlicher sein. Diese
klar auf die Ontogenese bezogenen Bemerkungen lassen sich phylogenetisch erwei-
tern auf die graduelle Entstehung des Verstandes im Laufe der Evolution.
Es war schon seit der Mitte der 60er Jahre bekannt, dass etwa eine Sekunde,
bevor eine selbstbestimmte Bewegung, etwa der Hand, anfängt, eine damit korre-
lierte Hirnaktivität einsetzt, das sogenannte readiness potential; es kann z. B. mit einem
Elektroenzephalographen gemessen werden.
 
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