Bernd Engler
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nutzte ich einen ersten Lehr- und Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten
und dann vor allem die Zeit als Heisenbergstipendiat, die ich weitgehend in den Ver-
einigten Staaten und in Großbritannien verbrachte, um neue Horizonte meines
Faches zu erkunden. Politische Rhetorik von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart
stand nunmehr ebenso auf der Agenda wie zeitgenössische Geschichtstheorien und
die Erscheinungsweisen historiographischer Metafiktion in den Vereinigten Staaten.
Was die Stationen meines beruflichen Werdeganges anbelangt, habe ich —
scheinbar in Widerspruch zu der oben angesprochenen Maxime meines akademi-
schen Lebens — eine gewisse Beständigkeit entwickelt. Nach meiner Freiburger
Assistentenzeit, einem Lehr- und Forschungsaufenthalt als Fulbright Professor an der
University of Massachusetts, einer Professurvertretung an der Universität Erlangen-
Nürnberg und diversen Auslandsaufenthalten als Heisenbergstipendiat nahm ich im
Jahre 1992 den Ruf auf den Lehrstuhl für Amerikanistik an die Universität Tübin-
gen an. Trotz späterer, durchaus verlockender Rufe blieb ich Tübingen aber treu,
zunächst als Leiter der Abteilung für Amerikanistik und neuerdings, seit 2006, als
Rektor.
Mitglied der Heidelberger Akademie bin ich freilich als Amerikanist und
Anglist, der ich auch weiterhin mit großer Leidenschaft bin; und so gilt es, Sie mit
dieser Facette meiner Existenz vertraut zu machen. Obwohl die Amerikanistik fach-
lich oft zu einem beträchtlichen Isolationismus neigt, empfinde ich ein Denken in
engen nationalliterarischen Kategorien wie auch in disziplinären Abschottungen als
der Wissenschaft abträglich. Für die in den Qualifikationsschriften und auch neuer-
dings im Zentrum meiner Bemühung stehende Erforschung der ‘ideologischen’
Grundmuster des amerikanischen Denkens sowie der dieses kennzeichnenden gei-
stesgeschichtlichen Kontinuitäten und Brüche wäre ein nationalkultureller Fokus
völlig verfehlt. Im Sinne des soeben Gesagten findet folglich nicht das So-Sein einer
Kultur meine Aufmerksamkeit, sondern das mitunter durchaus spekulative Warum
ihres So-Geworden-Seins, das ja bekanntlich im Wissen um die Komplexität kultu-
reller Entwicklungsprozesse immer auch ein eben Nicht-Anders-Geworden-Sein ist.
Warum werden zu einem bestimmten historischen Moment geistige Impulse aufge-
griffen und eine Vielzahl von anderen Optionen verworfen? Welche Faktoren lassen
etwa einen Jonathan Edwards oder Benjamin Franklin in ihrem jeweiligen kulturel-
len Moment zu Leitfiguren ihrer Kultur werden? Warum gelingt es gerade ihnen,
normative Setzungen mit Langzeitwirkung hervorzubringen? Wie gelingt es einer
Kultur, etwa einen William Shakespeare selbst nach dem Krieg von 1812, als alles
Britische in Amerika Anathema war, auch weiterhin als Nationalhelden — nunmehr
allerdings als amerikanischen — zu feiern? Durch welche Umwertungsprozesse wurde
eine solche Metamorphose des britischen Barden zum amerikanischen Freiheits-
kämpfer möglich?
Mein wissenschaftlicher Blick hat sich in den letzten Jahren zudem mehr und
mehr von der Gegenwart zurück zu den Ursprüngen der amerikanischen Kultur in
der frühen Kolonialzeit gerichtet. Puritanische Grabreden sind mir bei der Ergrün-
dung des sich mehr und mehr als Realität erweisenden Konstrukts eines spezifisch
amerikanischen Denkens ebenso verfolgenswerte Fährten wie umfängliche und von
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nutzte ich einen ersten Lehr- und Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten
und dann vor allem die Zeit als Heisenbergstipendiat, die ich weitgehend in den Ver-
einigten Staaten und in Großbritannien verbrachte, um neue Horizonte meines
Faches zu erkunden. Politische Rhetorik von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart
stand nunmehr ebenso auf der Agenda wie zeitgenössische Geschichtstheorien und
die Erscheinungsweisen historiographischer Metafiktion in den Vereinigten Staaten.
Was die Stationen meines beruflichen Werdeganges anbelangt, habe ich —
scheinbar in Widerspruch zu der oben angesprochenen Maxime meines akademi-
schen Lebens — eine gewisse Beständigkeit entwickelt. Nach meiner Freiburger
Assistentenzeit, einem Lehr- und Forschungsaufenthalt als Fulbright Professor an der
University of Massachusetts, einer Professurvertretung an der Universität Erlangen-
Nürnberg und diversen Auslandsaufenthalten als Heisenbergstipendiat nahm ich im
Jahre 1992 den Ruf auf den Lehrstuhl für Amerikanistik an die Universität Tübin-
gen an. Trotz späterer, durchaus verlockender Rufe blieb ich Tübingen aber treu,
zunächst als Leiter der Abteilung für Amerikanistik und neuerdings, seit 2006, als
Rektor.
Mitglied der Heidelberger Akademie bin ich freilich als Amerikanist und
Anglist, der ich auch weiterhin mit großer Leidenschaft bin; und so gilt es, Sie mit
dieser Facette meiner Existenz vertraut zu machen. Obwohl die Amerikanistik fach-
lich oft zu einem beträchtlichen Isolationismus neigt, empfinde ich ein Denken in
engen nationalliterarischen Kategorien wie auch in disziplinären Abschottungen als
der Wissenschaft abträglich. Für die in den Qualifikationsschriften und auch neuer-
dings im Zentrum meiner Bemühung stehende Erforschung der ‘ideologischen’
Grundmuster des amerikanischen Denkens sowie der dieses kennzeichnenden gei-
stesgeschichtlichen Kontinuitäten und Brüche wäre ein nationalkultureller Fokus
völlig verfehlt. Im Sinne des soeben Gesagten findet folglich nicht das So-Sein einer
Kultur meine Aufmerksamkeit, sondern das mitunter durchaus spekulative Warum
ihres So-Geworden-Seins, das ja bekanntlich im Wissen um die Komplexität kultu-
reller Entwicklungsprozesse immer auch ein eben Nicht-Anders-Geworden-Sein ist.
Warum werden zu einem bestimmten historischen Moment geistige Impulse aufge-
griffen und eine Vielzahl von anderen Optionen verworfen? Welche Faktoren lassen
etwa einen Jonathan Edwards oder Benjamin Franklin in ihrem jeweiligen kulturel-
len Moment zu Leitfiguren ihrer Kultur werden? Warum gelingt es gerade ihnen,
normative Setzungen mit Langzeitwirkung hervorzubringen? Wie gelingt es einer
Kultur, etwa einen William Shakespeare selbst nach dem Krieg von 1812, als alles
Britische in Amerika Anathema war, auch weiterhin als Nationalhelden — nunmehr
allerdings als amerikanischen — zu feiern? Durch welche Umwertungsprozesse wurde
eine solche Metamorphose des britischen Barden zum amerikanischen Freiheits-
kämpfer möglich?
Mein wissenschaftlicher Blick hat sich in den letzten Jahren zudem mehr und
mehr von der Gegenwart zurück zu den Ursprüngen der amerikanischen Kultur in
der frühen Kolonialzeit gerichtet. Puritanische Grabreden sind mir bei der Ergrün-
dung des sich mehr und mehr als Realität erweisenden Konstrukts eines spezifisch
amerikanischen Denkens ebenso verfolgenswerte Fährten wie umfängliche und von