134 | ANTRITTSREDEN
Antrittsrede von Herrn PETER KOCH
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 26. Juli 2008.
„schöne Stadt reiche Stadt schöne reiche Stadt der
schönen reichen Läden [... ] Stadt vergreister Paläste
Stadt ererbter Vermögen Stadt der alten Familien from-
me Gemeinde der Banken [...] deine Küchen [...]
das Rauchopfer deiner Pfannen am Mittag [...] Stadt
der Hohen Häuser Stadt der tiefen Schatten Stadt des
grellen Lichts Stadt der lebensfrohen Flüsse [...]“
Es ist nicht, wie Sie vielleicht erwarten könnten,
meine Heimatstadt, die in diesen (leicht gekürzten)
Worten von Wolfgang Koeppen beschrieben wird.Viel-
mehr geht es hier um das französische Lyon, wo ich den
letzten Winter im Rahmen eines Forschungsaufenthal-
tes an der Ecole Normale Superieure verbrachte. Stellen Sie sich mein Glück vor: ein
ganzes Semester in der „schönen reichen“ Stadt verbringen zu dürfen und in dieser
Zeit dann auch noch die Nachricht zu erhalten, in die Heidelberger Akademie der
Wissenschaften gewählt worden zu sein! Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das in
der Wahl zum Ausdruck kommt, und bin mir der großen Ehre bewusst.
Dass ich mit Lyon angefangen habe, hat seinen guten Grund: ich möchte ganz
bewusst vom ordo naturalis einer autobiographischen Darstellung abweichen. Fangen
wir also „von hinten“ an.
Ich habe einen Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Univer-
sität Tübingen. Meine sprachlichen Schwerpunkte liegen im Bereich des Französi-
schen und des Italienischen; hinzu kommt das Spanische. In der letzten Dekade
arbeitete ich mich zudem — einer schon lange gehegten Sympathie folgend — in das
Sardische ein und machte mich mit einer seiner Varietäten vertraut (denn es handelt
sich eher um eine Gruppe untereinander recht verschiedener Dialekte). Dabei hatte
ich das Glück, in em Örtchen hineinzuwachsen, in dem Sardisch noch völlig leben-
dig ist und in dem sich dem Fremden, wenn er das Idiom kennt, natürlich Tür und
Tor öffnen. Leider aber steht es nach den neuesten Umfragen insgesamt nicht gut
um das Sardische: Während „oben“ noch kontrovers über eine Standardsprache
debattiert wird (was hochinteressante nicht nur sprachpolitische, sondern auch theo-
retisch-linguistische Fragen aufwirft), wird das Sardische „von unten“ her, d. h. in der
Alltagskonversation, massiv durch das Italienische verdrängt. Wenn es so weitergeht,
werde ich vielleicht eines Tages mit zu den letzten Sprechern einer sardischen
Varietät gehören...
Wir Romanisten pflegen ja solche Liebe zum Kleinen, aber wir haben auch
immer das große Ganze unseres Faches im Blick. So bin ich mir mit meinen Tübin-
ger Kollegen in der Sprach- und in der Literatuiwissenschaft völlig einig darin, dass
wir uns als ‘Romanisten’ im emphatischen Sinne verstehen — nicht rückwärtsge-
wandt, sondern weil wir diese Perspektive für besonders zukunftsträchtig halten. Wie
Antrittsrede von Herrn PETER KOCH
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 26. Juli 2008.
„schöne Stadt reiche Stadt schöne reiche Stadt der
schönen reichen Läden [... ] Stadt vergreister Paläste
Stadt ererbter Vermögen Stadt der alten Familien from-
me Gemeinde der Banken [...] deine Küchen [...]
das Rauchopfer deiner Pfannen am Mittag [...] Stadt
der Hohen Häuser Stadt der tiefen Schatten Stadt des
grellen Lichts Stadt der lebensfrohen Flüsse [...]“
Es ist nicht, wie Sie vielleicht erwarten könnten,
meine Heimatstadt, die in diesen (leicht gekürzten)
Worten von Wolfgang Koeppen beschrieben wird.Viel-
mehr geht es hier um das französische Lyon, wo ich den
letzten Winter im Rahmen eines Forschungsaufenthal-
tes an der Ecole Normale Superieure verbrachte. Stellen Sie sich mein Glück vor: ein
ganzes Semester in der „schönen reichen“ Stadt verbringen zu dürfen und in dieser
Zeit dann auch noch die Nachricht zu erhalten, in die Heidelberger Akademie der
Wissenschaften gewählt worden zu sein! Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das in
der Wahl zum Ausdruck kommt, und bin mir der großen Ehre bewusst.
Dass ich mit Lyon angefangen habe, hat seinen guten Grund: ich möchte ganz
bewusst vom ordo naturalis einer autobiographischen Darstellung abweichen. Fangen
wir also „von hinten“ an.
Ich habe einen Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Univer-
sität Tübingen. Meine sprachlichen Schwerpunkte liegen im Bereich des Französi-
schen und des Italienischen; hinzu kommt das Spanische. In der letzten Dekade
arbeitete ich mich zudem — einer schon lange gehegten Sympathie folgend — in das
Sardische ein und machte mich mit einer seiner Varietäten vertraut (denn es handelt
sich eher um eine Gruppe untereinander recht verschiedener Dialekte). Dabei hatte
ich das Glück, in em Örtchen hineinzuwachsen, in dem Sardisch noch völlig leben-
dig ist und in dem sich dem Fremden, wenn er das Idiom kennt, natürlich Tür und
Tor öffnen. Leider aber steht es nach den neuesten Umfragen insgesamt nicht gut
um das Sardische: Während „oben“ noch kontrovers über eine Standardsprache
debattiert wird (was hochinteressante nicht nur sprachpolitische, sondern auch theo-
retisch-linguistische Fragen aufwirft), wird das Sardische „von unten“ her, d. h. in der
Alltagskonversation, massiv durch das Italienische verdrängt. Wenn es so weitergeht,
werde ich vielleicht eines Tages mit zu den letzten Sprechern einer sardischen
Varietät gehören...
Wir Romanisten pflegen ja solche Liebe zum Kleinen, aber wir haben auch
immer das große Ganze unseres Faches im Blick. So bin ich mir mit meinen Tübin-
ger Kollegen in der Sprach- und in der Literatuiwissenschaft völlig einig darin, dass
wir uns als ‘Romanisten’ im emphatischen Sinne verstehen — nicht rückwärtsge-
wandt, sondern weil wir diese Perspektive für besonders zukunftsträchtig halten. Wie