Peter Koch
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meine allzu früh verstorbene Tübinger Kollegin Brigitte Schlieben-Lange — zu Leb-
zeiten Mitglied dieser Akademie - programmatisch herausstellte, befindet sich die
Romanistik in der privilegierten Position des entre deux: Insofern sie immer mehre-
re Sprachen und Literaturen in den Blick nimmt, verfügt sie über einen viel weite-
ren Horizont als die oftmals bornierten und rein monoglotten Nationalphilologien
und trägt immer schon ein komparatistisches Potenzial in sich. Dabei besteht der
Vorteil der Romanistik andererseits darin, dass wir „unsere“ Sprachen kennen, also
nie die „Bodenhaftung“ zugunsten eines unbedachten Universalismus verlieren.
Nimmt man noch das Privileg hinzu, dass mit dem Latein eine sehr frühe Sprach-
stufe der heutigen romanischen Idiome bestens überliefert ist, so drängt es sich gera-
dezu auf, im Lichte neuer theoretischer Erkenntnisse immer wieder in dieses sprach-
liche Universum einzutauchen.
Mich reizt dabei nun besonders — wie ich es nennen möchte — die Vergleich-
barkeit des scheinbar Unvergleichbaren. Gerade in letzter Zeit versuche ich, dies in
einem Bereich zu erproben, der einen Ausbund historischer Idiosynkrasie darzustel-
len scheint: in der so genannten ‘externen’ Sprachgeschichte, in der es um die Ent-
wicklung von Sprachformen und Kommunikationsgemeinschaften im Kontext von
Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur und Medien geht. Trotz aller historischen Viel-
falt zeichnen sich im Vergleich unterschiedlicher Sprachgeschichten bestimmte
rekurrente Prozesse ab, die linguistisch sehr präzise definiert werden können: Ver-
schriftlichung, Standardisierung und Ausbau, aber auch „Rückbau“, Restandardisie-
rung usw. Die Romania bietet hier vielfältiges Anschauungsmaterial und Anregun-
gen für externe Sprachgeschichten auch im außerromanischen Bereich.
Ein weiteres Arbeitsgebiet stellt der Wortschatz dar, genauer: die lexikalische
Semantik. Meine theoretische und praktische lexikologische Erfahrung in semasiolo-
gischer und onomasiologischer Hinsicht wird innerhalb der Akademie, so hoffe ich,
der Kommissionsarbeit zum Dictionnaire etymologique de l’ändert fran^ais (DEAF) und
dem Dictionnaire onomasiologique de fanden gascon (DAG) zugutekommen. Auch in der
lexikalischen Semantik reizt es mich, nach der Vergleichbarkeit des scheinbar Unver-
gleichbaren zu suchen. Dies mag Skepsis hervorrufen, handelt es sich doch um den-
jenigen Teil des Sprachsystems, der am idiosynkratischsten und am wenigsten durch-
strukturiert zu sein scheint. Es zeigt sich jedoch zumindest für zentrale Bereiche:
Sprachen variieren in der Gestaltung und der Entwicklung ihres Wortschatzes, aber
sie variieren nicht chaotisch. Es scheint möglich, unter ‘kognitivem’ Blickwinkel eine
Typologie lexikalischer Lösungen zu ermitteln und damit bestimmte Konstanten
(keine hundertprozentigen Universalien!) herauszuarbeiten. Seitdem ich in Tübingen
bin, also seit 1996/97, habe ich diese Probleme in Projekten, insbesondere innerhalb
des Tübinger SFB 441 untersucht. Dabei sind wir, von der sicheren Basis der roma-
nischen Sprachen ausgehend, teilweise auch in andere Sprachfamilien vorgestoßen.
Die Wurzeln dieser Untersuchungen reichen aber zurück in meine Zeit an der
Freien Universität Berlin, wo ich von 1990 bis 1996 einen Lehrstuhl für Romani-
sche Sprachwissenschaft hatte. Eine für mich ganz unvergessliche Erfahrung war
dabei die außerordentlich enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit meinem dama-
ligen Assistenten und dann auch Freund Andreas Blank (der leider schon sehr jung
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meine allzu früh verstorbene Tübinger Kollegin Brigitte Schlieben-Lange — zu Leb-
zeiten Mitglied dieser Akademie - programmatisch herausstellte, befindet sich die
Romanistik in der privilegierten Position des entre deux: Insofern sie immer mehre-
re Sprachen und Literaturen in den Blick nimmt, verfügt sie über einen viel weite-
ren Horizont als die oftmals bornierten und rein monoglotten Nationalphilologien
und trägt immer schon ein komparatistisches Potenzial in sich. Dabei besteht der
Vorteil der Romanistik andererseits darin, dass wir „unsere“ Sprachen kennen, also
nie die „Bodenhaftung“ zugunsten eines unbedachten Universalismus verlieren.
Nimmt man noch das Privileg hinzu, dass mit dem Latein eine sehr frühe Sprach-
stufe der heutigen romanischen Idiome bestens überliefert ist, so drängt es sich gera-
dezu auf, im Lichte neuer theoretischer Erkenntnisse immer wieder in dieses sprach-
liche Universum einzutauchen.
Mich reizt dabei nun besonders — wie ich es nennen möchte — die Vergleich-
barkeit des scheinbar Unvergleichbaren. Gerade in letzter Zeit versuche ich, dies in
einem Bereich zu erproben, der einen Ausbund historischer Idiosynkrasie darzustel-
len scheint: in der so genannten ‘externen’ Sprachgeschichte, in der es um die Ent-
wicklung von Sprachformen und Kommunikationsgemeinschaften im Kontext von
Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur und Medien geht. Trotz aller historischen Viel-
falt zeichnen sich im Vergleich unterschiedlicher Sprachgeschichten bestimmte
rekurrente Prozesse ab, die linguistisch sehr präzise definiert werden können: Ver-
schriftlichung, Standardisierung und Ausbau, aber auch „Rückbau“, Restandardisie-
rung usw. Die Romania bietet hier vielfältiges Anschauungsmaterial und Anregun-
gen für externe Sprachgeschichten auch im außerromanischen Bereich.
Ein weiteres Arbeitsgebiet stellt der Wortschatz dar, genauer: die lexikalische
Semantik. Meine theoretische und praktische lexikologische Erfahrung in semasiolo-
gischer und onomasiologischer Hinsicht wird innerhalb der Akademie, so hoffe ich,
der Kommissionsarbeit zum Dictionnaire etymologique de l’ändert fran^ais (DEAF) und
dem Dictionnaire onomasiologique de fanden gascon (DAG) zugutekommen. Auch in der
lexikalischen Semantik reizt es mich, nach der Vergleichbarkeit des scheinbar Unver-
gleichbaren zu suchen. Dies mag Skepsis hervorrufen, handelt es sich doch um den-
jenigen Teil des Sprachsystems, der am idiosynkratischsten und am wenigsten durch-
strukturiert zu sein scheint. Es zeigt sich jedoch zumindest für zentrale Bereiche:
Sprachen variieren in der Gestaltung und der Entwicklung ihres Wortschatzes, aber
sie variieren nicht chaotisch. Es scheint möglich, unter ‘kognitivem’ Blickwinkel eine
Typologie lexikalischer Lösungen zu ermitteln und damit bestimmte Konstanten
(keine hundertprozentigen Universalien!) herauszuarbeiten. Seitdem ich in Tübingen
bin, also seit 1996/97, habe ich diese Probleme in Projekten, insbesondere innerhalb
des Tübinger SFB 441 untersucht. Dabei sind wir, von der sicheren Basis der roma-
nischen Sprachen ausgehend, teilweise auch in andere Sprachfamilien vorgestoßen.
Die Wurzeln dieser Untersuchungen reichen aber zurück in meine Zeit an der
Freien Universität Berlin, wo ich von 1990 bis 1996 einen Lehrstuhl für Romani-
sche Sprachwissenschaft hatte. Eine für mich ganz unvergessliche Erfahrung war
dabei die außerordentlich enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit meinem dama-
ligen Assistenten und dann auch Freund Andreas Blank (der leider schon sehr jung