Das WIN-Kolleg
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sozialen, politischen und kulturellen Entstehungsfaktoren in Wechselwirkung tritt,
diese also reproduziert oder verändert. Im Rahmen des Projektes werden
von den drei Kollegiaten und drei Mitarbeitern an der Universität Heidelberg Fall-
studien zum Alten Orient, zur minoischen Kultur, zur älteren griechischen und zur
römischen Geschichte bearbeitet. Das Projekt ist im Herbst 2008 mit den ersten
Teilprojekten gestartet und wird, bei positiver Evaluation im Jahre 2011, bis 2013
laufen.
Fragestellung des Gesamtprojekts
Raum ist eine basale Dimension der Lebenswelt: Räumlichkeit und Raumkonzep-
tionen liegen allen menschlichen Lebensvollzügen, kulturellen Äußerungsformen,
Sozialbeziehungen, politischen Ordnungen und so fort zugrunde. Wahrscheinlich
gerade deswegen, weil der „Raum“ so selbstverständlich scheint, hat eine systemati-
sche, fächerübergreifende Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand aus kultur-
wissenschaftlicher Perspektive lange auf sich warten lassen. Seit einigen Jahren hat
sich dies jedoch, ausgehend von der Soziologie und einer zunehmend sozialwissen-
schaftlich orientierten Humangeographie, geändert, und zwar über alle Disziplinen
hinweg und mit solcher Vehemenz, dass man nach linguistic, visual, performative und
anderen turns nun den „spatial turn“ der Kulturwissenschaften ausgerufen hat.
Grundannahme dieser gerade erst anlaufenden Debatte ist die Preisgabe einer Kon-
zeption von Raum als apriorisch gegebener, unveränderlicher und absoluter Entität,
als bloß behälterartiger „Umgebung“, innerhalb derer und von der unberührt sich
menschliches Handeln vollzieht. Stattdessen wird der Raum nun im Anschluss an das
philosophische Denken über den Raum auch in soziokulturellen Zusammenhängen
als relationale Größe konzeptionalisiert, die im Wechselspiel individuellen Erlebens,
sozialer Praktiken und deren materiellen Artefakte beständig neu produziert wird.
Räume in diesem Sinne be- und entstehen also ausschließlich durch menschliches
Handeln und bilden somit dessen Bedingungen, also soziale Verhältnisse, politische
Ordnungen oder Machtbeziehungen ab. Dass dies nicht nur in einem metaphori-
schen Sinne geschieht, sondern sich auch physisch manifestiert, illustriert anschau-
lich das Beispiel des Stadtraums, dessen soziologische Analyse und sozialpolitische
Kritik ein wesentlicher Stimulus für den Aufschwung der Raumthematik war: In
Städten werden Individuen und soziale Güter in eine räumliche, im Stadtbild mate-
riell greifbare Ordnung gebracht, die die soziokulturellen Ordnungskonfigurationen
manifestieren und zu ihrer Reproduktion beitragen.
Soziale und politische Bedingungen sind neben natürlich-topographischen
Gegebenheiten, Wegen, der subjektiven Sinnzuschreibung und emotionalen Aufla-
dung von Orten unter anderem Faktoren, durch die menschliche Lebensräume
erzeugt, strukturiert und wahrgenommen werden. Ein wesentlicher Faktor dieser
Raumproduktion sind auch normative Ordnungskonzepte: Wem beispielsweise ein
Stück Boden zueigen ist, welcher Gruppe oder politischen Einheit ein Gebiet
zugehört, welche Räume (Kultbezirke, Friedhöfe,Versammlungsplätze) für bestimmte
Lebensvollzüge reserviert sind und ähnliche Erfahrungen von Ge- und Verboten
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sozialen, politischen und kulturellen Entstehungsfaktoren in Wechselwirkung tritt,
diese also reproduziert oder verändert. Im Rahmen des Projektes werden
von den drei Kollegiaten und drei Mitarbeitern an der Universität Heidelberg Fall-
studien zum Alten Orient, zur minoischen Kultur, zur älteren griechischen und zur
römischen Geschichte bearbeitet. Das Projekt ist im Herbst 2008 mit den ersten
Teilprojekten gestartet und wird, bei positiver Evaluation im Jahre 2011, bis 2013
laufen.
Fragestellung des Gesamtprojekts
Raum ist eine basale Dimension der Lebenswelt: Räumlichkeit und Raumkonzep-
tionen liegen allen menschlichen Lebensvollzügen, kulturellen Äußerungsformen,
Sozialbeziehungen, politischen Ordnungen und so fort zugrunde. Wahrscheinlich
gerade deswegen, weil der „Raum“ so selbstverständlich scheint, hat eine systemati-
sche, fächerübergreifende Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand aus kultur-
wissenschaftlicher Perspektive lange auf sich warten lassen. Seit einigen Jahren hat
sich dies jedoch, ausgehend von der Soziologie und einer zunehmend sozialwissen-
schaftlich orientierten Humangeographie, geändert, und zwar über alle Disziplinen
hinweg und mit solcher Vehemenz, dass man nach linguistic, visual, performative und
anderen turns nun den „spatial turn“ der Kulturwissenschaften ausgerufen hat.
Grundannahme dieser gerade erst anlaufenden Debatte ist die Preisgabe einer Kon-
zeption von Raum als apriorisch gegebener, unveränderlicher und absoluter Entität,
als bloß behälterartiger „Umgebung“, innerhalb derer und von der unberührt sich
menschliches Handeln vollzieht. Stattdessen wird der Raum nun im Anschluss an das
philosophische Denken über den Raum auch in soziokulturellen Zusammenhängen
als relationale Größe konzeptionalisiert, die im Wechselspiel individuellen Erlebens,
sozialer Praktiken und deren materiellen Artefakte beständig neu produziert wird.
Räume in diesem Sinne be- und entstehen also ausschließlich durch menschliches
Handeln und bilden somit dessen Bedingungen, also soziale Verhältnisse, politische
Ordnungen oder Machtbeziehungen ab. Dass dies nicht nur in einem metaphori-
schen Sinne geschieht, sondern sich auch physisch manifestiert, illustriert anschau-
lich das Beispiel des Stadtraums, dessen soziologische Analyse und sozialpolitische
Kritik ein wesentlicher Stimulus für den Aufschwung der Raumthematik war: In
Städten werden Individuen und soziale Güter in eine räumliche, im Stadtbild mate-
riell greifbare Ordnung gebracht, die die soziokulturellen Ordnungskonfigurationen
manifestieren und zu ihrer Reproduktion beitragen.
Soziale und politische Bedingungen sind neben natürlich-topographischen
Gegebenheiten, Wegen, der subjektiven Sinnzuschreibung und emotionalen Aufla-
dung von Orten unter anderem Faktoren, durch die menschliche Lebensräume
erzeugt, strukturiert und wahrgenommen werden. Ein wesentlicher Faktor dieser
Raumproduktion sind auch normative Ordnungskonzepte: Wem beispielsweise ein
Stück Boden zueigen ist, welcher Gruppe oder politischen Einheit ein Gebiet
zugehört, welche Räume (Kultbezirke, Friedhöfe,Versammlungsplätze) für bestimmte
Lebensvollzüge reserviert sind und ähnliche Erfahrungen von Ge- und Verboten