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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 24. Januar 2009
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Welker, Michael: Die Anthropologie des Paulus als interdisziplinäre Kontakttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0089
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24. Januar 2009

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Abwesenden. Das geschieht über unsere Erinnerungen und Imaginationen, durch
die wir uns „im Geist“ über raumzeitliche Distanzen hinweg auf andere Menschen
beziehen. Nach Paulus’ Überzeugung kann diese Kontaktaufnahme bis zu Graden
authentischer Kopräsenz und Interaktion gesteigert werden. Über die Erinnerung an
eigene Besuche, über die Lehre und die Verkündigung, über die Fürbitte vor Gott,
aber auch durch Briefe und Botenberichte vermittelt, will Paulus „im Geist“ in der
Gemeinde präsent werden. Diese Präsenz ist nicht nur ein Faktor seiner eigenen
Imagination. 1 Kor 5 beschreibt er einen solchen geistigen Kommunikations- und
Koaktionsprozess: „Ich meinerseits habe — leiblich zwar abwesend, geistig aber anwe-
send — mein Urteil über den dies verübt Habenden, schon jetzt gefällt, als ob ich per-
sönlich anwesend wäre: Im Namen Jesu, unseres Herrn, wollen wir, wenn ihr und
mein Geist versammelt seid ...“ (1 Kor 5,3f). Dabei spielen „der Name“ und „die
Kraft des Herrn“ und der an dieser Stelle nicht ausdrücklich erwähnte Geist Gottes
eine wichtige verbindende Rolle im Zusammenschluss der Gemeinde. Das gilt ganz
generell, also mit und ohne leibliche Kopräsenz. Es ist aber keineswegs so, dass
man auf den „Heiligen“ Geist, auf den Geist Gottes, Bezug nehmen müsste, um den
geistigen Kommunikationsprozess zwischen Paulus und den Korinthern nachzuvoll-
ziehen.
Schwieriger zu erfassen ist der nur 11 Mal im corpus paulinum auftretende
Begriff der psyche, der bald mit „Seele“, bald mit „Leben“ oder auch „Mensch“
übersetzt wird. Er nimmt den Ausdruck näfäsch aus dem Alten Testament auf, der sich
mit „Kehle, Hals, Begehren, Seele, Leben, Person“ und als Pronomen wiedergeben
lässt.9 Bemerkenswerterweise ist nach 1 Kor 2,14 der „psychische Mensch“
„unfähig, das Wirken durch den Geist zu vernehmen“.10 Der Ausdruck psyche um-
fasst ein individuelles irdisches Leben, die irdische leiblich-geistige Individualität, die
zwar von Gott geschaffen, aber damit (noch) nicht von Gottes Geist erfüllt ist. Der
„erste Adam“ wird von Paulus als „lebendige psyche“ und damit als vergängliches
Wesen angesehen, während Jesus Christus als der „letzte Adam“ ein „lebendigma-
chender Geist“ ist (vgl. 1 Kor 15,45).
Man wird den heute so beliebten Ausdruck „ganzheitlich“ nur zögernd mit
psyche verbinden, wenn man nicht geistliche und theologische Dimensionen
menschlichen Lebens ausblenden will. Nach Röm 13,1 soll „jede psyche der staat-
lichen Gewalt, die von Gott eingesetzt ist, Gehorsam leisten“. Paulus könnte aber
kaum sagen: jeder Mensch solle dem Staat „von ganzem Herzen und mit allen Kräf-
ten des Geistes dienen“. Gegenüber den heute in euro-amerikanischen Kontexten
erwartbaren Assoziationszusammenhängen (auch aufgrund der römisch-katholischen
Lehre von der „Unsterblichkeit der Seele“) ist die Rede von psyche im Sinne von
„Seele, Person und Leben“ bei Paulus ganz offensichtlich säkular gefasst. Dagegen
werden Vernunft undVerstand (nous') durchaus mit Gebet und Doxologie verbunden

9 Siehe dazu Hans Walter Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, Kaiser: München 5. Aufl.
1990,25ff.
10 Udo Schnelle, Paulus. Leben und Denken, De Gruyter: Berlin u. New York 2003, 615.
 
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